Die Wundermaschine
Griechenland steht derzeit nicht gerade hoch im Kurs. Würden Sie also einen griechischen Computer kaufen? Vielleicht nicht. Vor 2000 Jahren sah die Sache wahrscheinlich anders aus: Da war Hellas die führende Computernation! Hinlänglich bekannt sind die philosophischen, mathematischen und astronomischen Leistungen der alten Griechen – was jetzt aber an antikem Hightech ans Licht befördert wurde, ist geradezu sensationell. Gemeint ist der "Antikythera-Mechanismus", ein rätselhafter, nur in vergammelten Bruchstücken erhaltener Apparat, der 1901 von Schwammtauchern bei der kleinen griechischen Insel Antikythera (der Akzent liegt auf dem "y") entdeckt worden war. Die Story liest sich wie ein moderner Verschwörungsroman – und ist doch in allen Details tatsächlich passiert.
Lange blieb die Bedeutung und Funktion des Funds mysteriös – kein Wunder wenn man die unförmigen, vom Meerwasser zersetzten Bronzeteile sieht. Doch nun liegt das Ergebnis jahrzehntelanger Forschungen vor, die von vielen Konflikten begleiteten waren: Es handelt sich um einen nur knapp 40 Zentimeter großen, mechanischen Computer, der die Bewegung der Himmelskörper umfassend und präzise anzeigen konnte. Die alten Griechen waren also alles andere als vergeistigte Theoretiker. Erst ein Jahrtausend später sollten vergleichbare Apparate wieder konstruiert werden.
Jo Marchant, Journalistin beim renommierten Wissenschaftsmagazin "Nature", hat ein faszinierendes Buch darüber geschrieben. Sie ist Teil der Geschichte, erschienen doch einige der wichtigsten Arbeiten vor wenigen Jahren in dieser Zeitschrift. Sie hatte detaillierte Einblicke und kennt viele der heutigen Protagonisten persönlich: Ihre Recherche wirkt deshalb präzise und umfassend. Das Buch ist kompetent, spannend und locker geschrieben – ein großer Lesespaß. Bereits die Schilderung der Entdeckung und gefährlichen Bergung der Gegenstände aus einem um 60 v. Chr. gesunkenen griechischen Schiff ist eindrucksvoll. Weiter geht es mit der Analyse der geschichtlichen Hintergründe und Einordnung der Fundstücke, darunter einige große Bronzestatuen. Es deutet vieles darauf hin, dass das mächtige Schiff von Kleinasien über Rhodos auf dem Weg nach Sizilien und Rom war.
Am meisten fasziniert aber Marchants Darstellung der diversen Forscher, die das Rätsel des antiken Mechanismus lösen wollten. Es ist eine Geschichte von Besessenheit, Kreativität, Geschicklichkeit, Missgunst, Eitelkeit und dem Streben nach Ruhm – alles, was normalerweise einen großen Roman ausmacht, doch die Realität ist zuweilen noch fesselnder. Denn lange Zeit war das Auge der einzige Detektor: Nur wenige Elemente, wie Teile von Zahnrädern und vereinzelte Inschriften sind sichtbar, was Raum für viele Deutungen ließ.
Mit den ersten Röntgenaufnahmen wurde die Sache konkreter. Sie zeigten ein Gewirr verschiedener Zahnradmechanismen. Durch Abzählen der Zähne versuchte man bekannte astronomische Perioden und Verhältnisse zu erkennen – ein mühsames und fehleranfälliges Unterfangen. Den Durchbruch erzielte erst die hochauflösende Computertomographie, die die dreidimensionale Anordnung der mechanischen Teile zeigte. Durch stereoskopische Digitalaufnahmen konnten überdies verborgene Inschriften und Zeichen entschlüsselt werden. Nach vielen Irrungen und Wirrungen steht heute fest, dass der Antikythera-Mechanismus ein komplexes himmelsmechanisches Instrument ist, mit dem selbst Finsternisse angezeigt werden können: In ihm steckt das gesamte Wissen der Antike. Mittlerweile ist es gelungen, einen funktionsfähigen Nachbau herzustellen, der wie das Original mittels einer Handkurbel betrieben wird. Sieht man die Fundstücke, die 2000 Jahre am Meeresgrund gelegen haben, hält man dies schlicht für unmöglich.
Abschließend spekuliert die Autorin über den Schöpfer des Apparats. In Frage kommen etwa der Astronom Hipparch (Rhodos) oder der Mathematiker Archimedes (Syrakus). Natürlich liegt vieles noch im Dunkeln – die Sache bleibt also spannend und vielleicht werden irgendwann weitere Exemplare des Mechanismus entdeckt. Fest steht, dass sich unser Bild von den alten Griechen durch diesen "Computer" grundlegend gewandelt hat.
Jeder der sich für die antike Astronomie und die Geschichte der Technik interessiert, wird von diesem knapp 300-seitigen Buch begeistert sein. Im Mittelteil finden sich einige Farbseiten. Sie zeigen eine historische Aufnahme der Fundstelle, die in Athen ausgestellten Fundstücke, Röntgenaufnahmen des Mechanismus und dessen Nachbau sowie einige der beteiligten Forscher. Hilfreich sind auch das gute Personenregister und das ausführliche Literaturverzeichnis. Fazit: sehr zu empfehlen!
(Mittlerweile wurde die Wundermaschine aus Lego nachgebaut und ihre Funktion gefilmt, Anm. d. Red.)
Lange blieb die Bedeutung und Funktion des Funds mysteriös – kein Wunder wenn man die unförmigen, vom Meerwasser zersetzten Bronzeteile sieht. Doch nun liegt das Ergebnis jahrzehntelanger Forschungen vor, die von vielen Konflikten begleiteten waren: Es handelt sich um einen nur knapp 40 Zentimeter großen, mechanischen Computer, der die Bewegung der Himmelskörper umfassend und präzise anzeigen konnte. Die alten Griechen waren also alles andere als vergeistigte Theoretiker. Erst ein Jahrtausend später sollten vergleichbare Apparate wieder konstruiert werden.
Jo Marchant, Journalistin beim renommierten Wissenschaftsmagazin "Nature", hat ein faszinierendes Buch darüber geschrieben. Sie ist Teil der Geschichte, erschienen doch einige der wichtigsten Arbeiten vor wenigen Jahren in dieser Zeitschrift. Sie hatte detaillierte Einblicke und kennt viele der heutigen Protagonisten persönlich: Ihre Recherche wirkt deshalb präzise und umfassend. Das Buch ist kompetent, spannend und locker geschrieben – ein großer Lesespaß. Bereits die Schilderung der Entdeckung und gefährlichen Bergung der Gegenstände aus einem um 60 v. Chr. gesunkenen griechischen Schiff ist eindrucksvoll. Weiter geht es mit der Analyse der geschichtlichen Hintergründe und Einordnung der Fundstücke, darunter einige große Bronzestatuen. Es deutet vieles darauf hin, dass das mächtige Schiff von Kleinasien über Rhodos auf dem Weg nach Sizilien und Rom war.
Am meisten fasziniert aber Marchants Darstellung der diversen Forscher, die das Rätsel des antiken Mechanismus lösen wollten. Es ist eine Geschichte von Besessenheit, Kreativität, Geschicklichkeit, Missgunst, Eitelkeit und dem Streben nach Ruhm – alles, was normalerweise einen großen Roman ausmacht, doch die Realität ist zuweilen noch fesselnder. Denn lange Zeit war das Auge der einzige Detektor: Nur wenige Elemente, wie Teile von Zahnrädern und vereinzelte Inschriften sind sichtbar, was Raum für viele Deutungen ließ.
Mit den ersten Röntgenaufnahmen wurde die Sache konkreter. Sie zeigten ein Gewirr verschiedener Zahnradmechanismen. Durch Abzählen der Zähne versuchte man bekannte astronomische Perioden und Verhältnisse zu erkennen – ein mühsames und fehleranfälliges Unterfangen. Den Durchbruch erzielte erst die hochauflösende Computertomographie, die die dreidimensionale Anordnung der mechanischen Teile zeigte. Durch stereoskopische Digitalaufnahmen konnten überdies verborgene Inschriften und Zeichen entschlüsselt werden. Nach vielen Irrungen und Wirrungen steht heute fest, dass der Antikythera-Mechanismus ein komplexes himmelsmechanisches Instrument ist, mit dem selbst Finsternisse angezeigt werden können: In ihm steckt das gesamte Wissen der Antike. Mittlerweile ist es gelungen, einen funktionsfähigen Nachbau herzustellen, der wie das Original mittels einer Handkurbel betrieben wird. Sieht man die Fundstücke, die 2000 Jahre am Meeresgrund gelegen haben, hält man dies schlicht für unmöglich.
Abschließend spekuliert die Autorin über den Schöpfer des Apparats. In Frage kommen etwa der Astronom Hipparch (Rhodos) oder der Mathematiker Archimedes (Syrakus). Natürlich liegt vieles noch im Dunkeln – die Sache bleibt also spannend und vielleicht werden irgendwann weitere Exemplare des Mechanismus entdeckt. Fest steht, dass sich unser Bild von den alten Griechen durch diesen "Computer" grundlegend gewandelt hat.
Jeder der sich für die antike Astronomie und die Geschichte der Technik interessiert, wird von diesem knapp 300-seitigen Buch begeistert sein. Im Mittelteil finden sich einige Farbseiten. Sie zeigen eine historische Aufnahme der Fundstelle, die in Athen ausgestellten Fundstücke, Röntgenaufnahmen des Mechanismus und dessen Nachbau sowie einige der beteiligten Forscher. Hilfreich sind auch das gute Personenregister und das ausführliche Literaturverzeichnis. Fazit: sehr zu empfehlen!
(Mittlerweile wurde die Wundermaschine aus Lego nachgebaut und ihre Funktion gefilmt, Anm. d. Red.)
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