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Evolutionsforscher – und dennoch Atheist

Als der studierte Theologe Charles Darwin 1871 sein zweites Hauptwerk "Die Abstammung des Menschen" zur Evolution unserer Art veröffentlichte, enthielt dieses ein sehr kundiges Unterkapitel und eine ganze Reihe von Hypothesen zur Evolution von Religiosität und Religionen. Denn Darwin ging selbstverständlich davon aus, dass auch der Glauben an "spirituelle Wesenheiten" ein erfolgreiches Produkt der Evolutionsgeschichte sei – was Gottes Existenz weder beweise noch widerlege.

Doch es sollte noch über ein Jahrhundert dauern, bis moderne Evolutionsforscher die Spur wieder aufnahmen und auch die Religion nicht nur priesen, ignorierten oder beschimpften, sondern endlich erforschten. Zu den produktivsten und interessantesten dieser Forscher gehört der Autor des vorliegenden Buchs Jesse Bering, inzwischen Direktor am Institute of Cognition and Culture an der Queen’s University in Belfast. Er wurde international bekannt mit einer Reihe von kreativen Experimenten, mit denen er beispielsweise nachwies, dass Kinder auf Erzählungen von unsichtbaren Wesenheiten hin ihr Verhalten ändern – und annehmen, dass eine vom Stoffkrokodil verspeiste Mauspuppe zwar keinen Körper mehr, aber durchaus noch einen Geist im Jenseits hat.

So konnte er aufzeigen, wie religiöser Glaube entsteht und wie er dazu beitragen kann, intensiv kooperierende und kinderreiche Gemeinschaften zu begründen. Zumal andere Forscherinnen und Forscher unabhängig voneinander zu gleichen Befunden kamen, trug er damit zum heute in Fachkreisen vorherrschenden Kenntnisstand entscheidend bei und wird zu Recht reichlich zitiert.

Entsprechend hätte man bei Berings Buch "Die Erfindung Gottes. Wie die Evolution den Glauben schuf" nun eine stolze Selbstbeweihräucherung in einer Verpackung aus kaum verständlicher Fachsprache erwarten können. Doch weit gefehlt. Trocken stellt Bering in seiner Danksagung fest (S. 279): "Bücher über Wissenschaft und Religion können grässlich langweilig sein. Und auf dem Markt für diese Genre herrscht nicht gerade Mangel."

Bering setzt stattdessen auf einen locker zu lesenden, ironischen Plauderton und verpackt die wissenschaftlichen Befunde in Anekdoten, kurze Erläuterungen und ausgewählte Zitate. Seine Ausführungen sind dabei sachlich auf hohem Niveau, Themen wie die Funktion von Ritualen und Opfern werden aber kaum gestreift und Gegenargumente nicht diskutiert. Viel lieber verdeutlicht Bering, warum er die wissenschaftlichen Befunde zur evolutionären Entstehung und zum anhaltenden Erfolg von Religion akzeptieren und dennoch fröhlich und bekennend überzeugter Atheist sein kann.

Für ihn ist Gott eine "adaptive Illusion", und der evolutionäre Erfolg von Religion gehört auch nur zu den wundervollen Absurditäten des Lebens, denen sich schon der von ihm verehrte Sartre überzeugend gestellt habe.

Bering schildert durchaus die Ergebnisse wichtiger Studien und bietet auch eine umfangreiche Literaturliste auf. Aber letztlich beschreibt er vor allem, wie man existentialistisch damit umgehen kann, dass die Wissenschaft immer wieder andere Ergebnisse hervor bringt, als man sich vielleicht wünscht. Religiöse Fundamentalisten, die die Evolutionstheorie leugnen, überzieht er daher ebenso mit Spott wie Atheisten, die vor lauter Vorurteil nicht den Mut haben, sich der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen zu stellen.

Dem Forscher macht es erkennbar Freude, Borniertheit auf die Schippe zu nehmen. Sehr erfreulich dabei: Dank der sehr guten Übersetzung durch Helmut Reuter ist der Beringsche Sprachwitz auch in der deutschen Fassung erhalten geblieben. Wer also das empirische Trockenbrot rund um die Themen und Studien der Evolutionsforschung zu Religiosität und Religionen sucht, wird eher bei "Gott, Gene und Gehirn" von Vaas und Blume oder "Die Vermessung des Glaubens" von Schnabel fündig werden. Wer dagegen eine lockere Einführung und eine unterhaltsame, atheistisch-philosophische Reflektion zu diesem Thema lesen möchte, ist bei Bering genau richtig. "Und das ist die Wahrheit. So wahr mir Gott helfe." (S. 278)

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