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Seelenräuber und Computer-Musen

Ein Gespräch, das so nicht stattfand, zwischen dem Erfinder des Computers und einem Mitglied der "schreibenden Zunft" – das ist die Rahmenhandlung des Buches "Die Frau, für die ich den Computer erfand" von Friedrich Christian Delius. Darin hält der deutsche Erfinder Konrad Zuse (1910-1995) einen langen Monolog über Heimat, das Erfinden und seine Muse Ada Lovelace. Begegnet sind sich Friedrich Christian Delius und Konrad Zuse wirklich, so versichert uns der Autor, doch im Buch kommt allein Konrad Zuse zu Wort. Der Interviewer soll zuhören, das Aufnahmegerät überwachen und dem alt gewordenen Zuse die Ehre erweisen, sich alles von der Seele reden zu dürfen. Am Ende bezeichnet der Erfinder den Interviewer folglich auch als seinen Mephisto, seinen Seelenräuber.

Vorher sitzt der schweigende Schreiberling mit Konrad Zuse in der hessischen Provinz, isst Jägerschnitzel, trinkt Wein bis zum Morgengrauen und hört den alten Mann von seinen Rechenmaschinen reden, die er zu Ehren Ada Lovelace mit A1, A2, A3 und so weiter durchnummerierte. Begonnen hatte alles mit "laubgesägten" Blechen, aus denen Zuse und seine Mitarbeiter in mühevoller Arbeit Relais fertigten. Diese Pionierarbeit geschah nicht an einem Universitätsinstitut oder einer Forschungsabteilung in der Industrie: Es war das Wohnzimmer der Eltern, in dem der junge Konrad Zuse seine Rechenmaschinen baute. Getrieben von der Vision einer universalen, frei programmierbaren Rechenmaschine mutete er sich ein entbehrungsreiches und freudloses Leben zu, dass er sich durch die Imagination der englischen Mathematikerin Ada Lovelace versüßt.

Diese ist zu Konrad Zuses Geburt allerdings schon über 50 Jahre tot, und er weiß zunächst fast nichts über sie. Allein die Vorstellung, dass es einst eine Frau mit einem so klingenden Namen gab, die sich ebenfalls den Rechenmaschinen verschrieben hatte, inspirieren den jungen Zuse zu romantischen Jungenträume. Später ist ihm die Engländerin eine ständige Gesprächspartnerin auf Augenhöhe und seine innere moralische Instanz. "Was würde Ada tun?", fragt sich Konrad Zuse, der unter schwierigen Kriegsbedingungen seinen Traum erst zu verwirklichen, dann zu retten versucht.

In Friedrich Christian Delius biografischen Roman begegnet uns der Erfinder als alter Herr, der oft ein wenig aufbrausend und herablassend wirkt. Hinter dieser, beim Lesen zuweilen etwas nervigen Attitüde dem jungen Interviewer gegenüber, scheint allerdings ein verletztes Genie durch, das erst sehr spät Anerkennung erfährt: Im Dritten Reich blieb sie ihm verwehrt, genau so wie später durch die Patentbeamten der Bundesrepublik. Auch die US-Amerikaner nehmen ihn zwar erstaunt zur Kenntnis – seine Erstleistungen sind heute unbestritten –, doch einen Wernher von Braun der Elektronik haben sie nicht nötig. Dank ihrer Entwicklung der Atombombe haben sie selbst Pionierleistungen in Sachen Rechenmaschinen vorzuweisen. Auch entdecken sie das deutsche Technikgenie zu spät, eine Deportation wie bei den Raketeningenieuren ist bereits nicht mehr zeitgemäß, zumal Konrad Zuse, anders als Wernher von Braun, darauf nicht aus war. So endet das entbehrungsreiche, von einer Idee und einer Muse getriebene Leben des Konrad Zuse in der hessischen Provinz – bei Jägerschnitzel und Moselwein.

Konrad Zuse gesteht, dass er mit einer Muse schwanger geht. Mit diesem Kunstgriff ermöglicht Friedrich Christian Delius einen Zugang zum kalten logischen Denken des Ingenieurs über die vertrauten menschlichen Gefühle von Liebe und Schwärmerei. Welche Rolle Ada Lovelace nun aber konkret spielte, bleibt, wie so manch anderes ebenfalls, schleierhaft. Delius hat eben keinen Roman über Konrad Zuse geschrieben, sondern einen Roman, in dem der Computer-Pionier uns ganz intim und direkt in eigenen Worten aus seinem Leben berichtet. Dabei ist er unsicher, was und wie viel er uns von sich offenbaren will, ob er nun wirklich bereit ist, in diesem vielleicht letzten langen Interview seines Lebens uns seine Seele anzuvertrauen.

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