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Therapeutische Selbstoffenbarung

Psychologen und Psychiater haben selbst "einen an der Klatsche" und sollten erst einmal ihre eigenen Probleme behandeln lassen – solche Vorurteile bekommen Studierende der beiden Disziplinen allzu oft zu hören. Der französische Psychotherapeut Christophe André bedient die Klischees nun mit einem dicken Herausgeberband. Darin schildern rund 20 Vertreter seiner Zunft ihre psychischen Leiden und Selbstbehandlungen.

Und das ist weniger spektakulär, als es zunächst erscheint, denn die meisten Geschichten handeln von Ängsten, Stress und Depressionen, und die Autoren haben ihre Probleme in der Regel längst überwunden. Manche schrecken jedoch auch vor heiklen Geständnissen nicht zurück. Der Psychologe und Verhaltenstherapeut Benjamin Schoendorff etwa offenbart die Geschichte seiner Heroinabhängigkeit. Bis weit ins Erwachsenenalter hinein habe er der Sucht immer wieder nachgegeben – bis er die Zen­Meditation für sich entdeckte und lernte, Gedanken und Gefühle durch sich "hindurchziehen zu lassen".

Der Psychiater Frédéric Fanget wiederum macht keinen Hehl daraus, wie sich sein mangelndes Selbstbewusstsein äußert – zum Beispiel darin, dass er Wutanfälle bekäme, wenn er auf seine Frau warten müsse, und dass er Fehler nicht so einfach eingestehen könne. So habe ein Patient sich einmal trotz Verfremdung in einem Buch des Psychiaters wiedererkannt, was Fanget überaus peinlich war – und ihn zu einer Lüge greifen ließ.

Leider scheuen sich einige Autoren, etwaige Unzulänglichkeiten vor dem Leser auszubreiten. Entsprechend fehlt ihren Beiträgen der persönliche Reiz, aber auch die Glaubwürdigkeit derer, die eigene Tiefs und innere Kämpfe offenlegen. Dazu zählt der enttäuschende Beitrag der Verhaltenstherapeutin Béatrice Millêtre. Unter dem irreführenden Titel "Nein, ich bin keine perfekte Mutter" schildert sie keine eigenen Erziehungsfehler, sondern lediglich die ihrer Patientinnen. Ihre Ratschläge mögen sich für viele eignen ("Hören Sie gut hin und vertrauen Sie Ihrem Kind"), bieten aber gerade jenen keine große Hilfe, denen es an Gespür für ihr Kind mangelt.

Zu Recht ist die Geschichtensammlung in Frankreich ein Bestseller, denn sie befriedigt nicht nur die Neugier, sondern ermutigt und rührt an. Als hieb­ und stichfester Ratgeber für die Selbsttherapie ist das Buch Betroffenen zwar nicht zu empfehlen, doch umso mehr zur Motivation und Inspiration für den eigenen Lebensweg. Dazu tragen vor allem schöne Metaphern bei: etwa die von der quälenden Erinnerung als "Hausbesetzer", mit dem man sich arrangieren müsse. Für einen heterogenen Band mit Expertenbeiträgen ist die Sprache noch dazu überraschend klar und verständlich.

  • Quellen
Gehirn&Geist, 7/2012

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