Moderne Zauberer?
Der Münchner Psychoanalytiker und Autor Wolfgang Schmidbauer nimmt sich in diesem knapp 450 Seiten starken Buch einer hochbrisanten Frage an: Wie viel Magie und Aberglaube steckt in der modernen Seelenklempnerei? Doch der erste Wermutstropfen folgt sogleich. Wie man im Kleingedruckten des Impressums erfährt, handelt es sich um die Neuausgabe eines bereits 1998 unter dem Titel "Vom Umgang mit der Seele" erschienenen Bands.
Seinem neuen Titel wird das Buch in keinem Fall gerecht. Statt einen Überblick über Strömungen und Meilensteine der Psychotherapiegeschichte zu geben, wildert Schmidbauer in der grauen Vorzeit und schildert die Temperamentlehre der Antike, mittelalterliche "Behandlungen" und esoterische Praktiken wie den Mesmerismus des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Vor allem die Entstehung der psychoanalytischen Bewegung nimmt breiten Raum ein – wie Schmidbauer überhaupt, wenn er von Psychotherapie spricht, eigentlich nur die Psychoanalyse meint.
Vor 15 Jahren, als Schmidbauers Buch zuerst erschien, existierte eine gesetzlich geregelte und empirisch abgesicherte Psychotherapie hier zu Lande noch kaum. Damals mag der von Schmidbauer proklamierte "archaische Kern" der therapeutischen Arbeit also besonders spürbar gewesen sein. Aber was genau ist eigentlich darunter zu verstehen?
Zunächst einmal kein Defizit, glaubt der Autor. Schamanen und Heiler waren von jeher einfühlsame Helfer und "spirituelle Leitfiguren" – so wie es auch Therapeuten sein sollten. Wie und warum genau, bleibt freilich offen. Bedauernd schreibt Schmidbauer im neu ergänzten Schlusskapitel: "Es wird der modernen Gesellschaft versagt bleiben, die Rolle der Schamanen wiederzufinden." Man möchte erwidern: zum Glück!
Wie wir heute wissen, ist das Problem der meisten "Heilslehren" ihre starke Theorielastigkeit. Nicht umsonst haben sich Psychiater und Psychotherapeuten weit gehend davon verabschiedet, ihre Methoden von dezidierten Annahmen über die Entstehung psychischer Störungen wie Angst oder Depression abhängig zu machen. Es leitet allzu oft auf Abwege, allein im Unbewussten, in Kindheit, Karma oder Konditionierung den Grund des Übels zu vermuten. Wer sich an solche Erklärungsmuster klammert, hilft den Betroffenen weniger als ein Pragmatiker, der offen ist für alles, was Linderung verspricht.
Was freilich nicht bedeutet, dass nicht auch dieser mit der Macht des Erklärens und Zuwendens punktet. Und natürlich gäbe es viel Spannendes zu sagen über Placeboforschung und strittige Wirksamkeitsbelege, über das heilsame Brimborium von Therapeuten und das Bedürfnis nach Sinn stiftenden Angeboten seitens ihrer Patienten. Doch das hätte eines Blicks in die wissenschaftliche Literatur oder zumindest ins Nähkästchen der eigenen Praxis bedurft. Beides bleibt Schmidbauer schuldig.
Vielmehr begibt er sich auf Streifzüge durch exotische Gefilde. In zahlreichen Anekdoten von Heilern in Afrika, Asien oder Südamerika sowie den Psychoritualen in "primitiven" Gesellschaften skizziert er, dass auch dort – unter völlig anderen gesellschaftlichen und kulturellen Vorzeichen – Heilung für die Seele möglich ist. Interessant wäre wohl manches davon, wenn es spannend erzählt würde. Der Bezug zum Hier und Jetzt geht in Schmidbauers Aufzählungsreigen allerdings bald verloren.
Hinzu kommt: Solche historischen oder anthropologischen Trouvaillen haben mit der heutigen Psychotherapie so wenig zu tun wie Aderlass und Schröpfkuren mit der modernen Hochleistungsmedizin. Nimmt man Schmidbauers implizite Logik ernst, käme jeder noch so abseitige Versuch, etwas mit der Seele "anzustellen" und sie mit Glaubenslehren zu umgarnen, als Heilmethode in Frage. Doch Quacksalberei wird nicht dadurch sinnvolle Therapiemethode, dass sie gut gemeint ist oder irgendwann irgendwo einmal als State of the Art galt.
Der Mensch ist zum magischen Denken geboren und zieht eine Reihe von Vorteilen daraus – auch in Sachen Gesundheit (siehe GuG 12/2012, S. 34): Es beruhigt offenbar einfach, zu wissen, woran man ist – egal, wie nah dieses Wissen an der Wahrheit sein mag. Sinn stiften und Erklärungen geben stellen insofern wichtige Bausteine der Psychotherapie.
Wer von Schmidbauers Buch eine Geschichte der hiesigen und heutigen Psychotherapie erwartet, wird enttäuscht. Wer allerdings mit kulturhistorischem Interesse die magischen Vorläufer der Seelenklempnerei sichten möchte, findet manche kuriose Anekdote darin.
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