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Edle Adler

Wer Greifvögel als edle Herrscher der Lüfte schätzt, bräuchte an dieser Stelle eigentlich nicht mehr weiter lesen, denn dieses Buch ist für diesen Personenkreis ein Muss: Kein Werk im deutschsprachigen Raum vereint momentan so viel Wissen über Adler, Bussard, Falke und Co mit derart üppigem Bildmaterial zu einem ähnlich erschwinglichen Preis. Doch die Anschaffung von "Die Greifvögel Europas, Nordafrikas und Vorderasiens" von Theodor Mebs und Daniel Schmidt lohnt auch für jeden anderen interessierten Naturliebhaber.

Auf knapp 500 Seiten beschäftigen sich die beiden Autoren den 45 Greifvogelarten Europas und der angrenzenden Gebiete mit den neuesten Daten und den gesammelten wissenschaftlichen Erkenntnissen, wovon auch allein die rund 400 allgemeinen Literaturnachweise im Anhang des Buchs zeugen. Der erste Teil des Werks widmet sich dabei vor allem der allgemeinen Beschreibung der Biologie der Tiere. Definiert wird etwa, welche Kennzeichen einen Greifvogel überhaupt ausmachen, warum er so ein scharfes Auge hat und woher seine manchmal tollkühnen, manchmal eleganten Flugkünste kommen.

Schon hier besticht "Greifvögel" durch die Vielzahl der Fotografien, welche die unterschiedlichen Facetten dieser Artengruppen beleuchten. Beispielhafte Detailzeichnungen vermitteln den Körperbau oder typische Verhaltensweisen der Tiere noch zusätzlich – etwa unterschiedliche Fuß- oder Kopftypen von Greifvögeln in Großformat. Hier wird erklärt, wie Männchen um Weibchen werben, wer was frisst und warum manchen Arten nur ein, andere jedoch viele Jungtiere haben.

Auch die vielfältigen Beziehungen zwischen uns Menschen und den Greifen – seit Alters her Symbol für Macht und Adel, aber auch verfemt als vermeintliche Viehdiebe und Nahrungskonkurrenten – werden in diesem Abschnitt beleuchtet. Dieser letzte Aspekt fällt leider etwas dünn ist, gäbe es doch sehr viel zu erzählen über die Leid geprüften Adler und Falken. Bis heute haben sie Feinde, die ihnen mit Gift und Falle nachstellen, ganz zu schweigen zu den Prüfungen der Vergangenheit als vielen Arten durch Jagd und Umweltverschmutzung gerade hierzulande fast der Garaus gemacht wurde.

Mittlerweile überwiegen jedoch ihre Freunde, die bedrohten Spezies durch Hilfsmaßnahmen unter die Arme greifen. Deshalb können fast alle in historischer Zeit in Europa und Umgebung vorkommenden Arten im deutlich größeren zweiten Buchteil noch als vorhanden vorgestellt werden. Je nah Kenntnisstand erhalten die verschiedenen Spezies unterschiedlich große Kapitel: der gut erforschte und weit verbreitete Seeadler beispielsweise deutlich mehr als der erst in jüngerer Zeit in einigen Regionen Spaniens und Frankreichs heimisch gewordene Gleitaar.

Doch gleich, ob es sich um eine Allerweltsart oder eher eine Rarität handelt, jeder Vogel wird mit Verbreitungskarte (nachteilig: nur das Brut-, nicht aber Überwinterungsgebiete und Zugrichtungen werden dargestellt), Bildmaterial und den bekannt guten Farbzeichnungen von Dan Zetterström aus dem Kosmos-Vogelführer vorgestellt. Ausgewogen umfangreich beschreiben die Autoren die Kennzeichen der Greife, ihre Stimme, Verhalten, Nahrungserwerb, Fortpflanzung und der Lebensraum.

Einen deutlichen Schwerpunkt legen Mebs und Schmidt hier auch auf den Bestand, dessen Entwicklung, Gefährdungsursachen und – wo nötig – geeignete Schutzmaßnahmen der Vögel. Akribisch haben die beiden Autoren dazu jeweils die Zahl der Brutpaare aus den gesamten im Buch behandelten Ländern zusammengetragen. Bei in Deutschland beheimateten Arten schlüsseln sie die Daten sogar noch nach Bundesländern auf, was – aus eigener Erfahrung – keine einfache Arbeit gewesen sein dürfte. Kritisch anzumerken ist an dieser Stelle vielleicht noch das Fehlen eines Glossars, das wohl nicht nur für reine Laien hilfreich gewesen wäre – auch wenn sich der Text im Allgemeinen gut lesen lässt.

"Greifvögel" ist kein herkömmliches Bestimmungsbuch. Aber es hilft, sich die Kennzeichen der Tiere wie ihr Verhalten einzuprägen und somit beim nächsten Ausflug die hoch über einem schwebende Silhouette eines Adlers oder den auf einem Wipfel sitzenden Baumfalken leichter zu erkennen. Und es ist genau der richtige Schmöker für die langen Winterabende nach dem Ende des Vogelzugs: für mich eindeutig das beste deutschsprachige Naturbuch des Jahres.

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