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Früher war alles besser

Die ersten aktenkundigen Todesopfer soll die Nostalgie im 17. Jahrhundert gefordert haben. Es beginne mit Heimweh, steigere sich dann und bringe körperliche Symptome hervor, die zuerst das Gehirn in Mitleidenschaft ziehen und anschließend die Organe, vermerkten die Mediziner damals. Später, im Amerikanischen Bürgerkrieg, wurden 5213 Fälle von Nostalgie verzeichnet mit Todesfolge bei 58 Patienten. Die Ursachen sahen die Ärzte in der Trennung von der Heimat.

Beginnend mit der Medizingeschichte, erklärt Daniel Rettig in vier großen Kapiteln, was es auf sich hat mit dem Schwelgen in Erinnerungen. Während es früher als körperliches Leiden angesehen wurde, verstanden Wissenschaftler des 19. und 20. Jahrhunderts die Nostalgie als eine Emotion – den Wunsch, in eine vergangene Zeit zurückzukehren. Vielleicht rührt er daher, dass wir um die Unmöglichkeit wissen, die Uhr zurückzudrehen, schreibt der Autor, der als ausgebildeter Volkswirt über Psychologiethemen bloggt.

Im zweiten Kapitel präsentiert Rettig eine Rückschau auf bekannte Dinge von Früher: die Fernsehserie "Bonanza" und die "Pippi Langstrumpf"-Filme, den TV-Helden Angus MacGyver und Panini-Bildchen. Damit will er Kindheitserinnerungen bei den Lesern wecken. Mit seiner Frage, was man aus den eigenen vier Wänden retten würde, wenn es brennt, dürfte er die meisten Leser als Nostalgiker entlarven. Denn typischerweise entscheidet man sich dafür, Andenken an frühere Zeiten zu retten, deren ideeller Wert weitaus höher ist als der monetäre. 2004 gaben 80 Prozent der Befragten in einer US-Studie zu, mindestens einmal pro Woche Sehnsucht nach der Vergangenheit zu spüren.

Ist Nostalgie schlecht? Wenn sie zu Kriegen führt, dann sicherlich. Laut dem Autor war das im Konflikt um die Falklandinseln der Fall. Die ehemalige britische Kolonie wurde 1982 von argentinischen Streitkräften besetzt, und obgleich das Land sehr weit von Großbritannien entfernt ist, hatte die Bevölkerung großes Interesse an der Rückeroberung – manchen Historikern zufolge aus nostalgischen Gründen, denn Margaret Thatcher hielt damals als Premierministerin die traditionellen viktorianischen Werte hoch.

Ansonsten kann das Schwelgen in Erinnerungen sehr heilsam sein, stellt Rettig fest, der das Werk seiner Oma gewidmet hat. Diese erwartete das angekündigte Buch voll Stolz auf ihren Enkel, starb dann aber vor Erscheinen. Die nostalgische Rückschau auf ihr Leben habe ihm beim Bewältigen der Trauer geholfen, schreibt der Autor. Doch er gesteht auch ein, dass wir vieles im Rückblick verklären. Ereignisse wirken in der Erinnerung schöner als zum Zeitpunkt ihres Erlebens, deshalb lässt sich Nostalgie sogar therapeutisch nutzen. Ein Zimmer im Stil der 1950er Jahre zaubert etwa Demenzkranken in einem Pflegeheim ein Lächeln aufs Gesicht, und die Musik aus ihrer Jugend bringt sie in Bewegung. Die Zeiten in unserem Leben, in denen wir vieles das erste Mal tun, prägen sich besonders tief ein. Warum das so ist, erklärt Rettig anhand von Prozessen, die beim Erinnern im Gehirn ablaufen. Erlebnisse von besonderer emotionaler Intensität brennen sich demnach tief in unser Gedächtnis ein und können durch Gerüche, Musik oder das Aufsuchen von Orten wieder aus der Versenkung geholt werden, so dass die Vergangenheit plötzlich gegenwärtig ist.

Diesen Mechanismus nutzen auch viele Marketing-Aktionen, denen Rettig das letzte Kapitel widmet. Produkte aus der Jungend schmecken meist besonders gut. Warum sonst träufeln wir uns, wie einst bei Oma, Maggi in die Suppe und zerstören damit jeglichen Eigengeschmack des Gerichts? Dieses Festhalten an früheren Gewohnheiten nutzen Werbetreibende, um Produkte erfolgreicher unter die Kunden zu bringen. Deshalb "macht" auch Mars seit vier Jahren wieder genauso "mobil" wie in den 1970ern, nachdem alle neueren Slogans gefloppt waren.

Rettig macht das Phänomen der Nostalgie nicht nur wissenschaftlich greifbar, sondern verpasst dem Leser auch gleich eine große Portion davon zum Nachfühlen. Sein Buch ist unterhaltsam und spritzig und darüber hinaus mit reichlich Fachwissen gespickt. Des Autors Fazit: Packt Sie das nächste mal die Sehnsucht nach Früher, legen Sie sich kein glühendes Hufeisen auf den Bauch, wie es ein Militärarzt im napoleonischen Heer als Heilmittel empfahl, sondern freuen Sie sich an Ihren Erfahrungen und versinken Sie ruhig in Erinnerungen – mit einem lachenden und einem weinenden Auge. So geben Sie der Vergangenheit Bedeutung und Ihren Gefühlen Raum.

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