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Etwas bewegen

Charles Duhigg, ein renommierter Wirtschaftsredakteur bei der "New York Times", hat sich für sein erstes Buch ein wahrhaft alltägliches Thema gewählt – und ist damit prompt auf Platz 10 der amerikanischen Bestsellerliste gelandet. Es geht um die Handlungs-, Emotions- und Denksequenzen, die nach einem immer gleichen Muster ablaufen und uns dadurch das Leben erleichtern.

Hirnforscher haben festgestellt, dass Gewohnheitsschleifen im Wesentlichen durch die Basalganglien im Hirnstamm ausgeführt werden. Damit sind sie dem Bewusstsein entzogen. In dem Moment, in dem eine Gewohnheit anspringt, beschäftigt sich die Großhirnrinde nicht mehr mit ihr und kann ihre Kapazitäten effektiver für andere Dinge nutzen.

Unser ganzes Leben besteht zu einem großen Teil aus Gewohnheiten. Die meisten sind gut, ja sogar überlebensnotwendig, da sie unser Gehirn vor permanenter Überforderung schützen. Manche wirken sich allerdings sogar schädlich aus, und es ist nicht einfach, sie loszuwerden. Entsprechend erklärt uns der Autor auch, wie man Herr seiner eigenen Gewohnheiten werden und sich diejenigen anderer zu Nutze machen kann.

Für sein Buch hat der Autor Professoren, Wirtschaftsbosse und Betroffene interviewt und unzählige Forschungsberichte von Unternehmen sowie wissenschaftliche Publikationen aus der Psychologie und der Neurologie durchforstet. Anhand zahlreicher Beispiele beleuchtet er neben individuellen Gewohnheiten diejenigen großer Gruppen und ganzer Gesellschaften. Schließlich stellt er die Frage, inwieweit wir für unser gewohnheitsmäßiges Handeln selbst verantwortlich sind.

Laut Duhigg gibt es immer einen spezifischen Auslösereiz, der eine Routinehandlung in Gang bringt. Diese läuft dann automatisch ab, ohne dass man darüber nachdenken muss. Am Ende steht die erwartete Belohnung. Das Verlangen nach derselben ist der Motor der Gewohnheit.

Wer also eine schlechte Gewohnheit ändern will, muss nur den Auslösereiz erkennen, die Belohnung und das zu Grunde liegende Verlangen identifizieren und schließlich die Routine durch eine weniger schlechte ersetzen. Dazu noch ein selbst erstellter Plan, feste Entschlossenheit und der Glaube an den eigenen freien Willen, und schon klappt’s! Dieses Rahmenmodell kann man sich auch übersichtlich in Form eines Flussdiagramms von Duhiggs Website herunterladen. Natürlich ist es nicht immer ganz so einfach, wie es sich liest, aber das gibt der Autor selbst auch zu.

Um eine neue Gewohnheit zu entwickeln, gilt es eine neue Belohnung zu finden und ein Verlangen danach auszubilden. Das muss nicht unbedingt der Mensch selbst tun, der sich vielleicht auf diesem Weg eine neue Routine zulegen will.

Dass Zähneputzen zu einer täglichen Ritualhandlung wurde, verdanken wir der Marketingstrategie eines Zahnpastaherstellers. Die neue Zahnpasta enthielt ätherische Öle, die ein angenehmes Frischegefühl hinterließen. Der unangenehme "Zahnfilm" (Auslösereiz) konnte durch regelmäßiges Putzen (neue Routine) beseitigt werden. Die Belohnung war das Frischegefühl im Mund, das der zugehörige Mensch mit Sauberkeit gleichsetzte. Das Verlangen danach war der Motor der neuen Gewohnheit, die nebenbei die Verkaufszahlen in die Höhe trieb.

Es reicht allerdings oft nicht aus, nur eine neue Gewohnheit zu etablieren, um eine alte zu ändern, sagt Duhigg. Entschlossenheit, Überzeugung und der Glaube, es zu schaffen, seien wesentliche Voraussetzungen für einen dauerhaften Erfolg. Und den erreiche man in einer Gemeinschaft besser als allein. So erklärt der Autor den Erfolg der Anonymen Alkoholiker. Auch Willenskraft und Tugendhaftigkeit bezeichnet er als erlernbare Gewohnheiten.

Gewisse Gewohnheiten wirken, einmal etabliert, über sich hinaus und sind geeignet, das ganze Leben positiv zu verändern. Duhigg nennt als Beispiele: morgens die Betten zu machen, abends gemeinsam zu essen oder ein Haushaltsbuch zu führen. Nur sind diese "Schlüsselgewohnheiten" nicht einfach und vor allem nicht im Voraus als solche zu erkennen.

Das Buch ist weit mehr als nur ein persönlicher Ratgeber. Es gibt Einblicke, wie Gewohnheiten in größeren Gruppen funktionieren und wie man sie für seine Ziele steuern kann. Der Autor zeigt, wie man durch geschickte Manipulation der Gewohnheiten anderer nicht nur deren Kaufverhalten beeinflussen, sondern auch Footballteams zum Sieg bringen, Unternehmen zum Erfolg führen und Glaubensgemeinschaften oder politische Bewegungen gründen kann. Besonders wenn "lose Bindungen" (soziale Netzwerke) und starke freundschaftliche Bande miteinander verschmelzen, würden große gesellschaftliche Veränderungen möglich.

Krisen seien oft Wendepunkte für solche Veränderungen. Deshalb sei es mitunter günstiger, die Angst vor einer Krise weiter zu schüren, als sie abebben zu lassen. Kluge Führungskräfte würden demnach bewusst nach Krisenmomenten suchen oder eine Krisenwahrnehmung erzeugen, wenn sie etwas verändern wollten. Wenn solche Weisheiten an Universitäten gelehrt werden, wen wundert es da noch, dass eine Finanzkrise die nächste jagt?

Das Buch ist gespickt mit zahlreichen Fallbeispielen, die so fesselnd geschrieben sind, dass man es kaum aus der Hand legen kann. Vor lauter Geschichten muss man allerdings aufpassen, dass man die Essenz des Buchs nicht verpasst – die hätte vermutlich auf zehn Seiten mühelos Platz gefunden. Zwischendurch kann es auch mal nerven, wenn man die Sachinformation immer nur häppchenweise und unterbrochen durch lange, amerikanische Erfolgsstorys serviert bekommt.

Dieses Buch erfüllt sämtliche Klischees eines amerikanischen Bestsellers. Dennoch ist es insgesamt gesehen durchaus ein Lesevergnügen und darüber hinaus interessant für alle, die etwas bewegen wollen.

  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 12/2012

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