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Gartengenuss für jedermann

Schlossgärten waren einst private Erholungsoasen für Adelige, die vor allem im 18. und frühen 19. Jahrhundert, als die Gartenkunst Ihren Höhepunkt erlebte, renommierte Landschaftsarchitekten verpflichteten, um ihre Gartenträume zu verwirklichen. Heute sind diese Parks auch Normalbürgern zugänglich und dienen nicht nur als grüne Idylle, Botanische Gärten und Erholungsorte, sondern zugleich als Zeugnisse der europäischen Gartenkultur.

Oliver Kipp, Chefredakteur der Zeitschrift "Eden", Gartenfachmann und Musikwissenschaftler, führt den Leser in diesem prächtig aufgemachten Callwey-Bildband "Die schönsten Schlossgärten und Parkanlagen in Deutschland" ausführlich durch 28 Gärten und demonstriert damit zugleich den Wandel vom streng geometrischen Barockgarten über verspielte Rokolo-Lustgärten hin zum naturverbundenen Landschaftsgarten nach englischem Vorbild. Zudem stellt er Mischformen und "Spezialgärten" vor.

Das Buch soll Bildband – mit vielen hervorragenden teils ganz-, teils halbseitigen Fotos –, Reiseführer und Standardwerk zur Gartenarchitektur in einem sein. Der Band enthält zudem eine Musik-CD, die passend zu ausgewählten Parks (im Text gibt es farbig unterlegt Erläuterungen zur Musik) der Einstimmung dienen soll. Diese Kombination soll die Zusammengehörigkeit der Künste illustrieren und den Charakter der Schlossanlagen als Gesamtkunstwerk, bei dem Architektur, Bildhauerei, Malerei, Gartenkunst und eben die Musik, die ja Kulisse rauschender Feste in den "Lustgärten" war, belegen.

An Barockgärten im französischen Stil nach Versailler Vorbild in streng symmetrischer Anlage unter Betonung der Sichtachsen, kommen unter anderem Schloss Ludwigsburg, Hannover-Herrenhausen, Schloss Nymphenburg oder der Schlosspark Sanssouci zur Sprache. Der Hofgarten der Würzburger Residenz und der Lustgarten Veitshöchheim vertreten die Rubrik der Rokokogärten mit ihren verspielten Formen und ihrer aufwändigen Vielfalt. Um 1800 löste mit dem Klassizismus eine stärker naturbezogene Gestaltung die geometrische Ordnung ab, die englische Idee des Landschaftgartens setzte sich durch: Schlosspark Bad Muskau, Schlosspark Glienicke oder das Gartenreich Dessau-Wörlitz sind Beispiele dafür.

Ein eigenes Kapitel widmet sich anschließend Gärten, die die Veränderungen im Laufe der Zeit repräsentieren und aufzeigen, wie barocke Pracht in naturnahe Landschaft umgewandelt beziehungsweise um diese ergänzt wird. Gärten, die sich durch stilistische Vielfalt auszeichnen – der Schlossgarten Schwetzingen, der Hofgarten Schleißheim oder Wilhelmshöhe Kassel – werden angeführt. Allerdings ist hier die Auswahl der Beispiele etwas heikel, da auch andere, vorher erwähnte Schlossparks wie Nymphenburg, im Laufe der Zeit umgestaltet und an den Zeitgeschmack angepasst wurden.

Sonderformen der Gartengestaltung finden sich im Kapitel "Gärten mit Geschichten". Sofern es sich um die Nachgestaltung von Felslandschaften wie beim Felsengarten Sanspareil, spezielle Bepflanzungen (Exotengarten Weinheim/Bergstraße) oder botanische Vielfalt und Pflanzensammlungen wie im Weimarer Belvedere oder im Pomeranzengarten Leonberg handelt, mag dieses Kapitel durchaus seine Berechtigung haben. In anderen Fällen scheint es sich oft um Anlagen zu handeln, die sich vorher nicht klar zuordnen ließen.

Dank der Liste im Anhang mit genauen Angaben zu Öffnungszeiten, Eintrittspreisen, öffentlichem Nahverkehr und Infrastruktur sowie aufgrund der jedem Kapitel beigefügten Infokästen zu "Historie" und "Sehen und Erleben" (Letzteres mit Tipps zu Veranstaltungen, verborgenen Schätzen oder Spezialangeboten) erfüllt das Buch seinen Anspruch als "praktischer Reiseführer" gut.

Leider hat der Anhang zwei Mängel: Erstens kann man nicht erkennen, welche der hier aufgelisteten hundert Gärten im Hauptteil ausführlich vorgestellt werden und zweitens erfolgte die Auflistung nach Bundesländern. Da jedoch ein Register fehlt, ist das Auffinden bestimmter Gärten nicht immer unkompliziert und auch Namen, wie jene berühmter Landschaftsarchitekten oder Gärtner oder Bauherren hätte man gerne in einem solchen gesucht. Zudem wäre eine Kurzbiografie der wichtigsten Gartenarchitekten und eventuell sogar der Auftraggeber im Anhang eine Bereicherung gewesen. Die (identische) Übersichtskarte in der vorderen und der hinteren Buchklappe ist zunächst etwas verwirrrend, da unklar ist, was die einzelnen Farben bedeuten und die verwendeten Nummern im Hauptteil wie im Anhang nicht mehr auftauchen.

Der kulturhistorische Nachschlagewert des Buches ist weniger groß als die Verlagswerbung verspricht. Es fehlt zum Beispiel ein einleitendes, grundlegendes Kapitel, das kurz die zeitliche und stilistische Entwicklung der Gartenkunst in Deutschland von der Renaissance an betrachtet – eventuell sogar in übergeordneten Zusammenhang setzt – und die einzelnen Stilrichtungen und ihre ganz spezifischen Charakteristika umfassender beschreibt. Auch ein Ausblick auf Historismus und Romantik, das heißt den Ausklang der Gartenkunst, wäre sinnvoll gewesen, selbst wenn in Deutschland die Beispiele aus dieser Zeit nicht mehr so zahlreich sind.

Alles in allem wurde ein gut aufgemachtes "Bilderbuch" vorgelegt, das mehr dem gärtnerisch interessierten Reisenden von Nutzen sein mag als dem an Gartenkunst im Allgemeinen Interessierten.

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