Wellnessoasen der Antike
Die Römer waren ausgesprochene Utilitaristen. Ein öffentliches Bauwerk musste nicht in erster Linie schön, sondern für die Allgemeinheit nützlich sein. Dieses Prinzip prägte die Architektur des römischen Weltreichs – noch Jahrhunderte nach seinem Untergang. Das gilt auch für die Thermen. Diese dem Gemeinwohl dienenden Badeanlagen seien allemal nützlicher als die überflüssigen Pyramiden Ägyptens, die einzig der törichten Zurschaustellung des Reichtums der Pharaonen dienten, urteilte Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Frontinus, ein römischer Fachschriftsteller für Wassertechnik und Militärgeschichte.
Vielleicht war es diese Praxisbezogenheit, welche die unterworfenen Völker Roms so an ihren Machthabern bewunderten. Ganz sicher aber trug die Attraktivität der römischen Lebensart dazu bei, dass sie bereitwillig ihre alten Lebensformen den Annehmlichkeiten der römischen Zivilisation opferten. Thermen spielten bei diesem "Prozess der Selbstromanisierung" eine nicht unerhebliche Rolle, zumal die Römer selbst ein begründetes Interesse daran hatten, den Untertanen auch ohne Lanze und Schwert die Verlockungen ihrer Zivilisation schmackhaft zu machen.
Die römische Badekultur war Ausdruck eines verfeinerten Lebensstils, der in Rom wie überall im Imperium seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. gepflegt wurde. Öfter als unsereins heute besuchten die Römer öffentliche Badeanlagen, nicht nur, um ihren Körper zu waschen, sondern auch, um ihn zu trainieren und durch Wechselbäder – Schwitzen im Heißbad und Erfrischung im Kaltbad – zu stärken. Nachgehen konnte man diesem Freizeitvergnügen nahezu überall. Die "Notitia regionum urbis Romae", ein aus dem 4. Jahrhundert stammendes Verzeichnis der Stadtbezirke Roms, zählt allein in der Tibermetropole zehn große und 856 kleinere Bäder auf. Hinzu kommen reichsweit mehr als 600 archäologisch nachgewiesene öffentliche Bäder, während die Zahl der Privatbäder in die Tausende gehen dürfte. Selbst in den entlegensten Winkeln des Imperiums verfügten die römischen Militärlager über eigene Badeanlagen.
Fachkundig und anschaulich führt der Mainzer Archäologe Ernst Künzl dem Leser vor Augen, welch hohen gesellschaftlichen und kulturellen Stellenwert die Thermen in der Antike hatten, wie sie betrieben und genutzt wurden und welche Spuren sie bis heute im gesamten Gebiet des Imperium Romanum hinterlassen haben. Der Autor erzählt von der Entwicklung der Thermen und stellt diese in ihren kulturgeschichtlichen Zusammenhang, erläutert deren technische und architektonische Grundlagen – zum Beispiel Aufbau und Funktionsweise der berühmten Caracalla-Thermen in Rom –, beschreibt deren meist prachtvolle Ausstattung und taucht ein in das pulsierende Innenleben dieser antiken Wellness-Center.
Dabei weiß der vormalige Direktor der römischen Abteilung am Römisch-Germanischen Zentralmuseum in Mainz allerlei Wissenswertes und Kurioses über den alltäglichen Badebetrieb in den meist zu kunstvollen Architekturen ausgestalteten Anlagen zu vermitteln. Neben dem reichhaltigen Wellnessangebot (Kalt- und Warmwasserbäder, Sauna, Massage) gab es weitere Möglichkeiten der Zerstreuung in Gestalt von Bibliotheken, Gärten, Sportanlagen und Restaurants. Als Kontakt- und Nachrichtenbörsen hatten die Thermen auch politische Bedeutung. Männer und Frauen badeten bis auf wenige Ausnahmen getrennt. In den zu den Badeanstalten gehörenden Toiletten gab es zwar keine Privatsphäre, aber eine dank technischer Raffinesse äußerst hygienische Form der Exkremententsorgung: Man saß ohne Sichtschutz von seinem Nebenmann getrennt auf einer langen, sauberen Marmorbank, und was man hinter sich ließ, plumpste in einen Kanal, in dem fließendes Wasser sofort alles wegspülte. Römische Badeanlagen standen selbst rechtlosen Sklaven offen. Chirurgen führten in Nebenräumen sogar Operationen durch.
Nur Seife kannten die Römer nicht. Der Körper wurde mit parfümiertem Öl eingerieben, anschließend mit heißem Wasser übergossen. Dann schabte ein Sklave mit einem flachen Eisen die Schmutz- und Ölschicht von der Haut. Das Waschen war vermutlich der unangenehmste Teil eines Thermenbesuchs.
Für wohlige Wärme in den Bädern sorgte die Unterbodenheizung (Hypokaustum), eine Technik, die man von den Griechen übernahm und fortlaufend perfektionierte. Dabei wurde in einer unterirdischen Feuerstelle Holz verbrannt und die heiße Luft durch ein System von Hohlziegeln und Tonröhren in Böden und Wände geleitet. Das war selbst nach heutigen Kriterien ein Energie sparendes Heizsystem, das die Wärme optimal an die Innenräume abgab und dort auch dank guter Isolierung konservierte. Einziger Nachteil war der immense Verbrauch an Brennmaterial. Wie aktuelle Brennstoffberechnungen verdeutlichen, verzehrte allein die 65 mal 42,5 m große Thermenanlage im bayerischen Weißenburg (Biriciana) jedes Jahr reichlich 200 Tonnen Holz – ein Waldstück von 100 mal 75 Meter.
Ernst Künzl hat mit dem vorliegenden Sachbildband eine auf dem aktuellen Forschungsstand und auf neuesten archäologischen Erkenntnissen basierende Studie verfasst, die laienfreundliche Geschichtsvermittlung mit seriöser Darstellung der Fakten zu verbinden vermag. Wer sich über die Geschichte der römischen Thermen eingehend informieren will, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen.
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