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Geballter Kraftakt

"Die Wissenschaft" in Gestalt der großen Max-Planck-Gesellschaft (MPG) äußert sich zu einem wahrhaft großen Thema, nämlich der Zukunft der globalen Energieversorgung – und bleibt dabei wohltuend bodenständig. Obwohl die MPG in erster Linie, und das äußerst erfolgreich, außeruniversitäre Grundlagenforschung betreibt, liest sich der vorliegende Sammelband ganz und gar nicht abgehoben, auch wenn manche Literaturliste genau das auf den ersten Blick befürchten lässt.

Die Menschheit wächst nicht nur, sie legt auch, vor allem in China und Indien, rasant an Wirtschaftskraft und damit an Energiebedarf zu. Die Aufgabe, diesen zu decken, ohne durch übermäßigen Eintrag von CO2 in die Atmosphäre das Weltklima aus dem Gleichgewicht zu bringen, ist aus heutiger Perspektive schlicht unlösbar (siehe auch Spektrum der Wissenschaft Spezial 1/2007 "Lässt sich der Klimawandel stoppen?"). Demgegenüber bieten die Beiträge dieses Sammelbands Lösungen für einzelne Teilaspekte an, und zwar so überzeugend, dass am Ende doch ein gewisser Optimismus aufkommt.

Ein solcher Teilaspekt ist die Speicherung von Energie im Auto. Die Sonne strahlt mehr Energie auf die Erde ein, als die Menschheit in den kühnsten Prognosen benötigt; das Problem besteht darin, eine Portion davon so zu konzentrieren, dass ein Auto sie mitschleppen kann. Das gelingt bisher nur in Form des klimaschädlichen Kraftstoffs im Tank; es funktioniert (noch) nicht mit molekularem Wasserstoff (H2); es gerät in den Bereich des wirtschaftlich Machbaren mit modernen Batterien für Elektroautos – wenn die teuren Stromspeicher noch den Nebenjob als Puffer für das Gesamtnetz übernehmen (Spektrum der Wissenschaft 4/2009, S. 96).

Den größten Teil der Zeit ist ein Auto ohnehin nicht in Bewegung; da könnte seine Batterie mithelfen, die Differenz zwischen dem stark schwankenden Stromangebot aus Wind- und Sonnenenergie einerseits und der ebenfalls schwankenden Nachfrage andererseits auszugleichen. Ferdi Schüth, Direktor am MPI für Kohlenforschung, argumentiert, dass 50 Millionen Elektrofahrzeuge mit je 100 Kilowattstunden Kapazität den (nicht nur elektrischen!) Primärenergiebedarf der Bundesrepublik für einen halben Tag speichern könnten. Das würde allerdings aufwändige Infrastrukturen und Regelungen erfordern, die ihrerseits zu Änderungen im Energiekonsum führen.

Einen merkwürdigen Fremdkörper liefert Carl Christian von Weizsäcker, emeritierter Leiter des energiewirtschaftlichen Instituts der Universität zu Köln und Mitglied unzähliger hochrangiger Beratungsgremien. Sollte er Recht haben, dann gäbe es das Energieproblem gar nicht und das Klimaproblem nur ein bisschen, und sämtliche Bemühungen seiner Koautoren würden sich schlicht erübrigen. Fossile Energieträger seien nicht wirklich knapp, sondern höchstens mühsam zu fördern; entsprechend hätten wir noch gigantisch viel Zeit, um unseren Energieverbrauch auf alternative Quellen umzustellen und uns mit dem Klimaproblem zu arrangieren. Sicher, die enormen Investitionen für die Erschließung minderwertiger Ölvorkommen würden kurzfristig Marktverwerfungen erzeugen und langfristig höhere Preise verursachen. Aber der funktionierende globale Kapitalmarkt werde die Verfügbarkeit von Energie schon richten. Nun ja, dieses unerschütterliche Vertrauen in die Marktkräfte hat von Weizsäcker vor der gegenwärtigen weltweiten Finanzkrise zu Papier gebracht.

Die Entwicklungsländer könnten ihren Energiebedarf ohnehin nur mit Hilfe von Kohle, Öl und Gas decken; also sei "völlig klar, dass das Weltklimaproblem nur gelöst werden kann", wenn "CO2-Abscheidung und Sequestrierung" (Einlagerung in tiefere Erdschichten) gelingen. "Noch so viele Windräder, Solaranlagen und Kernkraftwerke können ’Clean Coal‹ nicht ersetzen.’ Ganz im Gegenteil: Die Förderung erneuerbarer Energien erhöhe ebenso wie der Bau zusätzlicher Kernkraftwerke nur das Angebot, verbillige in der Tendenz den Preis und rege damit einen höheren Energieverbrauch an.

Fast die Hälfte des Gesamtumfangs nehmen die Beiträge zur biogenen Energieerzeugung ein. Dabei sind die Ergebnisse zur Kraftstofferzeugung aus Pflanzen so enttäuschend, wie man sie aus den Medien kennt: Energiepflanzenanbau konkurriert mit der Nutzung der Pflanzen als Nahrungsund Futtermittel, und der Wirkungsgrad ist schlecht. Biokraftstoffe enthalten lediglich ein Tausendstel der Energie des Sonnenlichts, das auf das Ackerland gefallen ist.

Interessanter ist da schon die Nutzung des Methans. Bei der Fotosynthese fällt von Natur aus so viel CH4 an, dass seine Verbrennung zehn Prozent des Weltenergiebedarfs decken würde, ganz zu schweigen von den Methanhydratlagern am Grund der Weltmeere und im Permafrostboden, die in ihrem Energiegehalt wahrscheinlich allen anderen fossilen Energieträgern zusammen gleichkommen. Aber abgesehen vom Biogas aus dem Kuhstall sind die natürlichen Methanquellen praktisch nicht nutzbar.

Es gibt allerdings Bakterien, die aus Wasserstoffgas und CO2 Methan synthetisieren können, das im Gegensatz zu Wasserstoff leicht zu speichern und zu transportieren ist. Gewiss benötige man noch effizientere Bakterienstämme. Friedrich Widdel, Direktor am MPI für Marine Mikrobiologie in Bremen, diskutiert darüber hinaus Wasserstoff, Ethanol und Methanol sowie Öle und andere Stoffe als Produkte bakterieller Aktivität. Mikrobielle Brennstoffzellen könnten mit Glukose oder Essigsäure "gefüttert" werden. Vielleicht werden einmal Abwässer auf diese Art Elektrizität erzeugen? Widdel weist in Summe diesen Anwendungen aber eher eine lokale Bedeutung zu, global würden sie nicht zu einer Entlastung der Energiebilanz beitragen.

Hans-Joachim Queisser präsentiert den derzeitigen Forschungsstand zum Thema Solarzellen, nicht ohne auf die wesentlichen Beiträge seines Stuttgarter Instituts für Festkörperphysik bei der Erforschung, Verbesserung und Verbilligung der Sonnenbatterien hinzuweisen. Bis die Technik mit den traditionellen Energieträgern konkurrenzfähig sei, müssten allerdings die Materialkosten verringert und die Effektivität erhöht werden. Bei den organischen Licht emittierenden Dioden (OLEDs), die der Konsument bereits in Displays für Mobiltelefone und PCs kennt, den flexiblen organischen Feldeffekttransistoren (OFETs), die beispielsweise als schnelle Schalter und für den Energiesparmodus elektronischer Geräte eingesetzt werden, oder den "mobilen, aufrollbaren und großflächigen" wie auch "transparenten und berührungsempfindlichen" Bildschirmen begeben sich die sonst so überaus der fundamentalen Wissenschaft verschriebenen MPG-Forscher sogar ins Reich der anwendbaren Innovation.

Der letzte Beitrag des Bandes über die Kernfusion als Energiequelle der Zukunft kommt nicht superwissenschaftlich daher, sondern gibt sich anwendungsnah. Zudem liest er sich leicht und ist ansprechend illustriert. Alexander M. Bradshaw erläutert hier die Prinzipien der Technologie sowie das Experiment ITER, das im südfranzösischen Cadarache geplant ist. Er hält es für möglich, dass es ab 2035 eine erste Stromproduktion und 2050 sogar schon ein erstes kommerzielles Fusionskraftwerk gibt. Falls sich die Technologie bis zum Jahr 2100 etabliere, so sei mit Kosten von sieben bis zehn Eurocent für eine Kilowattstunde zu rechnen. Das ist zum Schluss des Bandes doch ein recht optimistischer Ausblick!
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 9/2009

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