Von nichts kommt nichts
Dieses Buch ist, vorweg gesagt, in mehrerer Hinsicht ein Ärgernis: Bereits der deutsche Titel ist eine schon fast unverschämte Trittbrettfahrerei beim derzeitigen „Hawking-Boom“ („Eine kurze Geschichte der Zeit“ etc.), obwohl das Buch sich mit der Entwicklung des Universums höchstens am Rande beschäftigt und vom klaren und angenehmen Stil eines Stephen Hawking etwa so weit entfernt ist wie die Erde vom nächsten Schwarzen Loch (der englische Originaltitel lautet nicht viel passender „The Hole in the Universe“). Das eigentliche Thema des Buches ist nämlich eine Art Wissenschaftsgeschichte des Vakuums, ein sehr interessanter Ansatz, aus dem gerade eine renommierte Wissenschaftsjournalistin wie Cole ein hervorragendes Buch hätte machen können. Der Hauptfehler liegt möglicherweise darin, dass anstelle des neutralen Begriffs „Vakuum“ meistens vom „Nichts“ gesprochen wird. Damit lässt sich trefflich wortspielen, jede der zehn Kapitelüberschriften enthält das Wort „nichts“. Und damit nicht genug, das gesamte Buch ist von einer Unzahl von „kreativen“ Wortspielen mit den Paradoxien vom Nichts und vom Etwas durchtränkt, die man irgendwann nicht einmal mehr als Kalauer lustig finden kann. Hinzu tritt die wohl aus Amerika stammende Mode, wissenschaftliche Zusammenhänge nicht dazustellen, sondern nur durch mehr oder weniger geistreiche Bemerkungen von beteiligten Wissenschaftlern zu illustrieren. Dies führt dazu, dass man zwar staunt, wenn Frau Cole alles kennt, aber nur selten die wirklich schwierigen gedanklichen Leistungen um Stringtheorie, Allgemeiner Relativität und Quantenfluktuationen nachvollziehen kann. Es wird lediglich unablässig gesagt, „dass“ es unglaublich schwierig sei. Nach zwei Drittel der Lektüre ist mir aufgefallen, dass die Wörter „weil“ und „deshalb“ fast vollständig fehlen. Argumentationen werden (wie in diesem Satz) weitgehend durch die Aneinanderreihung von Schlagworten, Aperçus und leider zu oft schiefen Vergleichen ersetzt. So gleicht das Werk über weite Strecken einem Soufflé, das zu früh aus dem Ofen genommen wurden und bei dem nach kurzer Zeit — beinahe nichts übrigbleibt. Dieser Rest besteht zum einen, wie gesagt, aus einer Begriffsgeschichte des „Nichts“ in Mathematik und Physik, also der Null und des Vakuums, und zum anderen aus der modernen Beschreibung des Vakuums oder genauer der Frage, woraus sich das Universum entwickelt hat und nach welchen Gesetzen dies geschehen ist (und geschieht). Dies führt an die vorderste Front der Forschung (entsprechend viel Heroenkult wird getrieben), also die Vereinheitlichung der Theorien von Raumzeit und Elementarteilchen, mithin die Quantengravitation. Hier finden sich auch einige recht gelungene Veranschaulichungen, etwa von der Identität von Raumkrümmung und Schwerkraft oder bei der Beschreibung der Zusatzdimensionen in der Stringtheorie. Auch die erst kürzlich „wiederentdeckte“ kosmologische Konstante Albert Einsteins, eine Art negativer Druck des Vakuums, wird ausführlich erwähnt und recht gut in die Diskussion eingeordnet. Gegen Ende allerdings wird der „sichere“ Grund von Kosmologie und Stringtheorie schnell wieder verlassen bei Abschweifungen in die Vulgärpsychologie und dem unvermeidlichen Schwenk zum Zen-Buddhismus (und natürlich finden F. Capra und der Dalai Lama auch noch ihren Platz). Fazit: Die Grundidee dieses Buches ist so bestechend und das behandelte Problem so faszinierend, dass sich die meisten Leser vermutlich bis zum Ende durchquälen werden, doch hinter dem Grießbreiberg wartet nicht das Schlaraffenland, sondern — nicht viel.
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