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Schaurig schön - teilweise

"O, schaurig ist's, übers Moor zu gehen"- diesen ersten Vers aus Annette von Droste-Hülshoffs "Knabe im Moor" hat sich das Landesmuseum Natur und Mensch in Oldenburg als Motto für eine Ausstellung zum 175-jährigen Bestehen des Hauses gewählt. Doch wer sich von den beiden Begleitbänden "Faszination Moorleichen" und "O, schaurig ist’s, übers Moor zu gehen" zur Ausstellung wohlig-schaurige Unterhaltung erwartet, dürfte enttäuscht werden. Umso mehr auf ihre Kosten kommen all jene, die interessiert sind an wissenschaftlich fundierten Informationen über ein spannendes Forschungsgebiet: die Moorarchäologie.

Seit mehr als zwei Jahrhunderten geben die Moore Nordwestdeutschlands immer neue Relikte aus längst vergangenen Epochen frei. Die konservierende Kraft der Moorsäure bewahrte, was in den trüben Tümpeln versank, über Jahrtausende hinweg vor dem Verfall – bis es der Spaten neuzeitlicher Torfstecher der Vergessenheit entriss. Dank moderner Untersuchungsmethoden erzählen diese Funde – vom einfachen Gebrauchsgegenstand bis zum vollständig konservierten menschlichen Körper – heute mitunter eine ganz andere Geschichte als zur Zeit ihrer Auffindung.

So etwa im Fall des Jungen aus der Esterweger Dose, einer 1939 entdeckten Moorleiche aus dem Mittelalter, die unmittelbar nach ihrer Auffindung zunächst als Überrest einer etwa 20-jährigen Frau eingeschätzt wurde. Knapp 60 Jahre später kommen Hamburger Rechtsmediziner dank moderner Techniken wie der Computertomografie zu einer völlig anderen Einschätzung: Demnach war die vermeintliche Frau ein Junge, der im Alter von 12 bis 14 Jahren verstarb – möglicherweise an einer Knochenmarkentzündung im rechten Bein.

Der Junge aus der Esterweger Dose ist nur eine von mehreren Moorleichen, deren Schicksal im schmaleren der beiden Bände erzählt wird. Wobei die Autoren – anders als mancher Vorgänger – angenehm zurückhaltend mit der möglichen Einordnung der Funde umgehen: Ob der 6- bis 7-jährige Junge, der in der vorrömischen Eisenzeit mit Stichen gegen den Hals getötet und im Moor versenkt wurde, als Opfer zur Besänftigung dunkler Gottheiten starb, lässt sich heute eben nicht mehr klären – und die Autoren sagen das auch so.

Gegen die morbide Faszination, die von dem Thema Moorleichen ausgeht, hat es die Erforschung der Moorwege im Weser-Ems-Gebiet – zentrales Thema des zweiten Bands – zugegebenermaßen schwer. Trotzdem lohnt sich auch der Blick in diesen Band. Dokumentiert er doch, wie sich Menschen über Jahrhunderte hinweg die Moore erschlossen – bis sie schließlich diesen einst feindlichen Lebensraum durch wirtschaftliche Ausbeutung an den Rand des Verschwindens brachten

Fazit: Zwei lesenswerte Bände über ein faszinierendes Teilgebiet der Archäologie.

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