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Fern-Sehen statt Glotzen

Ob Freiwild, Oper, Schlachtfeld oder Sternenhimmel – das Fernglas gehört dazu. Es ist heute ein Gebrauchsgegenstand wie der Fotoapparat. Doch wie hat alles angefangen? Ein Blick in die Geschichte ist durchaus interessant. Die Evolution bescherte uns zwei Augen, und der technische Fortschritt hat darauf reagiert – bereits kurz nach der Erfindung des Fernrohrs im Jahr 1608 durch Hans Lipperhey. Der in Middelburg wirkende Optiker war es, der eine binokulare Version seines Teleskops anfertigte (ein Vorläufer des Opernglases). Danach wurde es einige Zeit still, bis der Feldstecher am Ende des 19. Jahrhunderts in seiner heutigen Form entstand. Wir verdanken dies vor allem Ernst Abbe, Carl Zeiss und Otto Schott.

Die Geschichte des Fernglases steht am Anfang von Lambert Spix' Buch, eingebettet in das Kapitel "Technik". Hier geht es vor allem um deren Funktionsweise und Leistung, aber auch Fehlleistung. Bekanntlich gibt es zwei Typen, ausgestattet mit Porro- beziehungsweise Dachkantprismen. Der erste Typ besitzt eine gewinkelte Form, der zweite – gerne von Jägern benutzte – hat gerade Tuben. Der Autor lässt nichts aus: Von der Frage, was "8x50" bedeutet bis hin zur "Dämmerungszahl" wird alles ausführlich behandelt. Dabei erläutern Formeln die physikalischen Zusammenhänge. Thema des zweiten Kapitels ist die Auswahl des Geräts: Welche Leistungskriterien spielen eine Rolle? Welche Ausstattung und Zubehör (Stativ, Okulare, Filter) sind für eine bestimmte Anwendung zu empfehlen? Ein "Fernglas-Check" rundet die informative Darstellung ab. Dann geht es an die "Anwendung", in der die verschiedenen Einsatzfelder – von der Jagd bis zur Astronomie – behandelt werden. Wichtig sind auch Fragen zur Reinigung und Pflege des Geräts sowie seine optimale Handhabung wie Beobachtung im Stehen, Liegen oder Sitzen.

Das letzte Kapitel behandelt die "Beobachtung" astronomischer Objekte. Zunächst geht es um Methoden (indirektes Sehen, "Field Sweeping" usw.) und Hilfsmittel für die Aufsuche wie analog/digitale Sternkarten. Schwächere Objekte lassen sich am besten per "Starhopping" finden, indem man sich über Sternmuster herantastet. Hier wird die Beweglichkeit des Feldstechers optimal genutzt. Der Autor weist aber auch auf die Dokumentation der Beobachtung hin. Weitere Themen sind die passende Kleidung oder die Auswahl des geeigneten Standorts. Nur in dunkler Umgebung kann ein lichtstarkes Fernglas optimal genutzt werden!

Die letzten 80 Seiten, und damit nahezu die Hälfte des Buchs, gehören den Objekten. Klassisch geht es von den nahen, hellen Zielen zu den entfernten, schwachen. Zur ersten Kategorie zählen Sonne, Mond und Planeten, der Rest ist "Deep Sky": Sterne, Sternhaufen, Nebel und Galaxien. Jede Objektklasse wird eingehend – und stets unter dem Aspekt "Fernglas" – präsentiert. So wird bei der Sonnenbeobachtung besonders auf die Sicherheit Wert gelegt. Mittels Projektion oder Objektivfilter sind Sonnenflecken ideale Ziele. Beim Mond wird auf eindrucksvolle Krater hingewiesen. Planeten sind dagegen schon grenzwertig, denn während Venusphasen, Jupitermonde oder der Saturnring noch gut im Feldstecher erscheinen, sind die Cassini-Teilung im Ring oder die Wolkenbänder des Jupiter schon etwas für Fortgeschrittene.

Im Bereich des "Deep Sky" gibt es eine breite Palette lohnender Ziele. Da sind zunächst Doppelsterne, Veränderliche Sterne, Sternhaufen/Sternmuster und Kugelsternhaufen, weiter geht es mit Emissions-, Reflexions- und Dunkelnebeln sowie Planetarischen Nebel. Bei einigen, wie etwa dem Nordamerikanebel (NGC 7000) oder dem Helix-Nebel (NGC 7293), kann der Einsatz von Filtern sinnvoll sein. Den Abschluss bilden naturgemäß die Galaxien. Lohnende Feldstecherobjekte sind etwa M 31 (Andromedanebel), M 33 oder das markante Paar M 81/M 82. Der Autor unterscheidet stets zwischen einfachen, mittelschweren und schweren Objekten, wobei Tabellen die relevanten Daten enthalten.

Es ist erstaunlich, was ein Feldstecher bei der Himmelsbeobachtung alles bieten kann. Entscheidend sind natürlich das binokulare Sehen mit seinem unbeschreiblichen "Raumeffekt" und die unvergleichliche Freiheit der Beobachtung: Aus den Armen heraus streift man "durch" den Himmel. Genau diese Qualitäten vermittelt das Buch und ist damit ein würdiger Nachfolger des Klassikers "Himmelwunder im Feldstecher" von Rudolf Brandt. Es ist eine Fundgrube und lässt keinen Aspekt unbehandelt. Der locker geschriebene Text ist von farbigen Abbildungen und Skizzen, Informationskästen und hervorgehobenen Tipps begleitet. Im Anhang gibt es Literatur, Hinweise auf astronomische Ereignisse sowie einen Glossar. Fazit: Wer an erfolgreicher Fernglasbeobachtung, insbesondere in der Astronomie, interessiert ist, wird an diesem Buch seine Freude haben! "Fern-Sehen" bietet also eine echte Alternative zum "Fernsehen": Ist das Programm wieder einmal mies, liefert Lambert Spix genügend Ideen, seine beiden Augen anderweitig – und vielleicht sinnvoller – einzusetzen. Himmlische "Superstars" sind sowieso viel interessanter.

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