Wärmefluss und Ordnung
Die Physik kennt abstrakte Konzepte, die heute dermaßen vertraut klingen, dass man leicht die enorme wissenschaftliche Leistung dahinter vergisst. Wir meinen beispielsweise den Begriff "Energie" intuitiv zu verstehen: Energie ist eben nötig zur Beleuchtung, zur Fortbewegung, zum Heizen und so weiter. Selten machen wir uns jedoch bewusst, dass sich damit zwei fundamentale Naturgesetze verbinden: erstens die Energieerhaltung und zweitens die Tatsache, dass in einem geschlossenen System die Entropie nicht abnimmt ("Tendenz zur Unordnung").
Mit Blick auf den letzten Umstand lautet der Originaltitel des Films treffend "Order and Disorder". Der Physikprofessor Jim Al-Khalili von der University of Surrey (England) erzählt darin die Geschichte der Thermodynamik. Al-Khalili tritt seit Jahren in diversen Physikdokumentationen in Erscheinung und ist mittlerweile so etwas wie der Harald Lesch Englands.
Sich an der Natur bedienen
Menschen haben seit jeher Energie angezapft, die in natürlichen Prozessen umgesetzt wird: Obst ernten, Holz sammeln, segeln oder Wasserkraft nutzen sind nur einige Beispiele dafür. Im Lauf der Zeit verbesserte man "Energiesammelmaschinen" wie Wassermühlen immer weiter, ohne jedoch die dahinter stehenden Prinzipen zu begreifen. Der deutsche Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) spekulierte über eine "lebendige Kraft", die etwa ausgetauscht werde, wenn zwei Billardkugeln kollidieren. Er erkannte auch, dass im Schießpulver enorme Kräfte vorhanden sein müssen, die dort quasi schlummern und beim Zünden frei werden. Welch enormer Vorteil müsste es sein, wenn man diese Kräfte einfinge, überlegte Leibniz: Ein Mensch könnte die Arbeit von hunderten verrichten.
An der Stelle entführt uns die Dokumentation in die Pumpstation Crossness im Südosten Londons. Riesige Dampfmaschinen verwandelten dort im 19. Jahrhundert Wärme in mechanische Bewegung. Obwohl es jeden interessierte, der solche Maschinen betrieb, wusste lange Zeit niemand: Wie effizient können sie überhaupt sein? 1824 veröffentlichte der französische Physiker Nicolas Léonard Sadi Carnot (1796–1832) eine Abhandlung, in der er Wärme als eine Art Substanz beschrieb. Er erfand den Begriff des Wärmeflusses und entdeckte, dass der Temperaturunterschied in der Maschine über deren Effizienz entscheidet. Carnots Erkenntnisse mündeten letztlich in den ersten Hauptsatz der Thermodynamik, demzufolge sich Energie immer nur umwandeln, aber nie aus dem Nichts entstehen kann. Nach allem, was wir heute wissen, gilt das im gesamten Universum.
Der deutsche Physiker Rudolf Clausius (1822–1888) machte die einfache, aber wichtige Beobachtung, dass Wärme immer vom heißeren zum kälteren Körper übergeht. Claudius gilt als Entdecker des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik. Dieser besagt unter anderem, dass die Entropie in einem abgeschlossenen, wärmedichten System nicht abnehmen kann.
Mikroskopisch statt makroskopisch
Ein mathematisches Modell für dieses Verhalten lieferte der österreichische Physiker Ludwig Boltzmann (1844–1906). Al-Khalili stellt ihn als manisch-depressiven Menschen mit stark künstlerischem Einschlag vor. Boltzmanns genialer Ansatz bestand darin, die betrachteten Systeme als Ensembles zahlloser Atome anzusehen, deren Bewegungen man nicht individuell verfolgen muss, sondern deren Kollektivverhalten man mit statistischen Methoden beschreiben kann. Diese Vorgehensweise rief allerdings den erbitterten Widerstand von Kollegen hervor. Der österreichische Physiker Ernst Mach (1838–1916) etwa nannte die Atome "nicht-reale Entitäten". Heute wissen wir: Boltzmanns Ansatz war der richtige.
Wenn abgeschlossene Systeme immer zur Unordnung streben, wieso kann sich dann im Universum etwas so Geordnetes bilden wie das Leben? Wie Al-Khalili demonstriert, ist dies in nicht-abgeschlossenen Systemen möglich, bei denen Energie fließt. Genau das ist der Grund, warum Lebewesen Nahrung aufnehmen müssen: um ihren geordneten Zustand zu erhalten. Deshalb sind die Biosphäre im Allgemeinen und die Menschen im Besonderen permanent auf Energiequellen angewiesen.
In der letzten Szene besucht Al-Khalili folgerichtig die britische Forschungsanlage Culham für Kernfusionsforschung. Dort versuchen Physiker das Feuer zu zünden, das auch in der Sonne brennt. Dem deutschen Publikum vertrauter sein dürfte das Projekt Wendelstein 7-X in Greifswald, das auf das gleiche Ziel hinarbeitet. An die schönen Aufnahmen aus dem Innern des (englischen) Reaktors knüpft Al-Khalili die Hoffnung, dass wir die Ordnung auf der Erde noch etliche Millionen Jahre bewahren können.
Der Film behandelt ein zentrales und spannendes Thema der Physik, und die Visualisierung ist ausgezeichnet wie so oft bei Dokumentationen mit Al-Khalili. Jedoch hat das Werk einige Längen und Redundanzen. Sie wären leicht zu vermeiden gewesen, hätte man weitere Physiker ins Drehbuch aufgenommen, die ebenfalls zur Thermodynamik beitrugen: Robert Mayer (1814–1878), James Joule (1818–1889) oder James Maxwell (1831–1879) etwa.
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