Vom ganz Großen und ganz Kleinen
Zwei Filme sind auf dieser DVD vereint, deren Titel verschiedener nicht sein könnten: "Alles" und "Nichts". Und doch gehören sie untrennbar zusammen. "Alles" ist eine Reise bis an die Grenzen des Universums, "Nichts" erzählt die Geschichte des Vakuums. Beide Filme führen zu dem rätselhaftesten aller Ereignisse, denen sich die Naturwissenschaft widmet: dem Urknall.
Schnell ziehen einen die Produktionen in den Bann. Das liegt zunächst einmal an der fesselnden Bildsprache. Sie ist abwechslungsreich und überraschend kreativ. So steht der Erzähler, der Physiker Jim Al-Khalili von der University of Surrey (England), anfangs an einem Strand und zeigt einzelne Sandkörner auf seinen Fingern. Entspräche jedes davon einem Stern, erklärt er, wäre der ganze Strand nicht groß genug, um das Universum darzustellen.
Beginnend mit dieser Szene erzählt "Alles", wie die Menschen die Größe des Universums abzuschätzen lernten. Ausgangspunkt ist das Olbersche Paradoxon: Warum ist es nachts dunkel? Der englische Astronom Thomas Digges (1546-1595) war der erste, der diese Frage formulierte, nachdem er erkannt hatte, dass die Fixsterne vermutlich nicht auf einer Sphäre montiert sind, sondern sich in einem sehr großen Raum verteilen. Im 19. Jahrhundert konnte man über den Parallaxeneffekt erstmals die Distanz zu den nächsten Sternen bestimmen. Das Universum bestand für Forscher dieser Zeit aus der Milchstraße.
Unvorstellbare Abstände
Die amerikanische Astronomin Henrietta Leavitt (1868-1921) entdeckte später, dass für bestimmte veränderliche Sterne die Periode der Helligkeitsschwankung mit der absoluten Leuchtkraft zusammenhängt. Dies gab den Astronomen eine Methode an die Hand, um noch viel größere Entfernungen abzuschätzen. Edwin Hubble (1889-1953) vermaß als erster einen solchen Stern im Andromedanebel. Dieser befand sich demnach Millionen Lichtjahre entfernt, und andere Spiralnebel offenbar noch weiter weg. Galaxien waren folglich eigenständige Systeme ähnlich der Milchstraße.
Zudem stellte Hubble fest, dass sich die Galaxien voneinander entfernen, und zwar umso schneller, je größer ihr Abstand untereinander ist. Diese Erkenntnis legte nahe, dass es einen Urknall gegeben haben muss. Eine Hypothese, die sich bis heute vielfach glänzend bestätigt hat, insbesondere durch die Analyse der kosmischen Mikrowellen-Hintergrundstrahlung. Erstaunlicherweise kann man erst mit dem Postulat eines Urknalls verstehen, warum der Himmel nachts dunkel ist. Digges hatte eine sehr wegweisende Frage gestellt.
"Alles" erzählt diese Geschichte der Astronomie intelligent und lehrreich. Inspirierende Fragen und ein gelungener Spannungsbogen fesseln die Zuschauer. Allerdings ist der Film keine leichte Kost. So erläutert er selbst die mathematische Definition der Raumkrümmung, die aus der Allgemeinen Relativitätstheorie hervorgeht, korrekt über den Paralleltransport eines Vektors entlang einer geschlossenen Kurve. Der Zuschauer bekommt aber immer wieder Gelegenheit, das Gesehene kurz zu verarbeiten. Manch besonders seltsam wirkende Erkenntnis wird etwas länger reflektiert: Was bedeutet es etwa, der Raum dehne sich aus?
Ganz leer gibt's nicht
In "Nichts" geht es um das Vakuum. Der griechische Philosoph Aristoteles vermutete, die Natur versuche stets, ein solches zu vermeiden. Dass dies ein Effekt des Luftdrucks ist, erkannte als erster der italienische Physiker Evangelista Torricelli (1608-1647) mit einem relativ simplen Glasröhrenexperiment. Das Vakuum wurde zum Forschungsobjekt. Eine der erstaunlichsten Erkenntnisse war, dass es keine Schall-, aber Lichtwellen transportiert. Gab es etwa eine alles durchdringende, lichttragende Substanz, den "Äther"? Ende des 19. Jahrhunderts war die Messtechnik genau genug geworden, um diese These zu testen. Die Ergebnisse des berühmten Michelson-Morley-Experiments sprachen eindeutig gegen sie.
Zum weiteren Verständnis muss der Film weit ausholen – und bietet einen Crashkurs in Quantentheorie. Unter anderem geht er auf die Heisenbergsche Unschärferelation ein, aus der folgt: Die Energie in einem bestimmten Raumvolumen lässt sich umso weniger genau angeben, je kürzer das Zeitintervall ist, in dem man beobachtet. Eine Konsequenz daraus: In sehr kurzen Zeiträumen entstehen spontan Teilchen-Antiteilchen-Paare aus dem Nichts, die sich aber sofort wieder gegenseitig vernichten. Das Vakuum ist also nicht wirklich leer. Das hat messbare Effekte, unter anderem auf die Energieniveaus der Elektronen in Atomen. Auch von den winzigen Unterschieden in der kosmischen Hintergrundstrahlung nimmt man an, dass sie auf Quantenfluktuationen zurückgehen.
So wie der erste Film wartet auch "Nichts" mit tollen Bildern auf. Besonders gelungen ist die Szene über Antimaterie und darüber, wie diese mit Materie annihiliert. In der Szene ist Al-Khalili zweimal zu sehen, einmal weiß und einmal schwarz gekleidet. Herrlich schwingt die Frage mit, ob die beiden es wagen werden, sich die Hand zu reichen. Gelungen auch die Analogie, die der Film für die Unschärferelation findet: Eine Datei gegebener Größe könne entweder ein scharfes Standbild beinhalten (die räumliche Position der Bildelemente lässt sich genau bestimmen, nicht jedoch ihre Bewegungen) oder einen unscharfen Film (die Bewegungen sind zu sehen, doch die Positionen werden verschwommener).
Allerdings ist den Filmemachern nicht alles geglückt. Eine Szene zeigt ein Oszilloskop, an dem man die Verschiebung elektronischer Energieniveaus durch Quantenfluktuationen erkennen soll. Seltsamerweise wird nicht einmal versucht, das komplizierte Experiment zu erklären, und so bleibt das Gesehene vollkommen unklar. Mitunter wechselt Al-Khalili auch abrupt von der Rolle des wissenden Erzählers in die des unwissenden Laien, was man ihm nicht abnimmt. Beinahe schäbig wirkt die DVD-Verpackung mit einem weniger als nichts sagenden Titelbild. Hoffentlich schreckt dies Interessierte nicht ab. Das wäre sehr schade, denn sie würden zwei Stunden spannende Wissenschaft verpassen.
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