Die dritte "grüne Revolution"?
Das Buch mit dem apokalyptischen Untertitel beginnt mit einer bizarren Geschichte: Bei einem Fernseh- Fresswettbewerb im Frühling 2008 gelang es Sonya aus Bottrop, 167 Hähnchenflügel auf einen Sitz zu vertilgen. Bei Felix Prinz zu Löwenstein, Ökolandwirt und Vorstand des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), und seiner Familie löst das zunächst großes Gelächter aus – und plötzlich schlägt die Diskussion in die ernsthafte Frage um: Liegt denn der Hunger auf der Welt tatsächlich an einer unzureichenden Menge an Nahrungsmitteln?
Löwenstein ist zwar Agrarwissenschaftler und ehemaliger Entwicklungshelfer, kann aber die Frage auch nicht aus der hohlen Hand beantworten. Also recherchiert er, vergleicht Zahlen und befragt Experten. Ergebnis ist das vorliegende Werk, das sich stark an den von der Weltbank initiierten, 2008 veröffentlichten und heftig umstrittenen "Weltagrarbericht" anlehnt ("Agriculture at a Crossroads", siehe www.agassessment.org). Seine Schlussfolgerung: Der Versuch, immer höhere Erträge zu erzielen, wird das Problem der Welternährung grundsätzlich nicht lösen. Noch schlimmer: "Gehen wir den Weg der intensiven industriellen Landwirtschaft weiter, dann verheizen wir in einem letzten großen Strohfeuer all das, was künftigen Generationen als Lebensgrundlage dienen muss."
Im letzten Jahrhundert haben sich die Erträge der konventionellen Landwirtschaft verdreifacht. Durch hochrationalisierte Produktionssysteme sowie den Einsatz von chemischen Hilfsmitteln und genmodifizierten Pflanzen wird mit minimalem Aufwand so viel Grundnahrungsmittel pro Hektar Ackerboden produziert wie nie zuvor. Doch der gewaltige Fortschritt ging mit einer massiven Beeinträchtigung der Umwelt einher.
So ist heute der Boden derart mit Stickstoff gesättigt, dass die Pflanzen nur noch 17 Prozent des neu ausgebrachten Düngers aufnehmen. Der Überschuss gelangt ins Grundwasser oder über die Flüsse bis ins Meer, wo er großen Schaden anrichtet. Ein Fünftel des Meeresbodens in der Kern-Ostsee zwischen Dänemark und den Åland-Inseln ist schon ohne Sauerstoff, weil die Überdüngung zusammen mit der intensiven Viehzüchtung aus Norddeutschland zu einem massiven Wachstum von Algen geführt hat. In diesen "Todeszonen" können sich die Fische nicht mehr vermehren, die Bestände sinken drastisch. Und die konventionelle Landwirtschaft tut der Umwelt noch weitere Schäden an: Sie stößt enorme Mengen an Treibhausgasen aus, Pestizide sammeln sich in der Nahrungskette an, Genmais vergiftet vermutlich nicht nur wie vorgesehen die Schädlinge, sondern auch Nutzinsekten...
Darüber hinaus wirft Löwenstein der konventionellen Agrarwirtschaft vor, sie verschärfe den Hunger, indem sie Abhängigkeiten erzeuge. Die Stickstoffdüngung zum Beispiel lässt nicht nur die Pflanzen schneller wachsen, sie macht auch deren Zellwände weicher. Die Stängel neigen zum Brechen, was den Einsatz hormonaler Wachstumshemmer erzwingt. Durch die rationell zu bewirtschaftenden Monokulturen verarmt der Boden, die Pflanzen werden dadurch weniger widerstandsfähig – und Pestizide unvermeidbar.
Dass ein Hilfsmittel das andere nach sich zieht, mag in unseren Breiten nicht sehr stören. Doch in Entwicklungsländern, wo die Bauern sich oft verschulden, um Saatgut, Dünger und so weiter zu finanzieren, entstehen schnell Teufelskreise des Elends. Am stärksten kritisiert wird dabei, dass die Bauern für genmodifizierte Pflanzen nicht nur Patentgebühren an die einschlägige Firma Monsanto zahlen müssen, sondern die selbst erzeugten Samen nicht zum Nachbau verwenden dürfen. Stattdessen müssen sie immer wieder neues Saatgut kaufen.
Zwei Drittel der Hungernden leben auf dem Land, 70 Prozent der Lebensmittel weltweit werden von Kleinbauern produziert. Will man also dem Hunger auf der Welt ein Ende setzen, kommt man um die Kleinbauern nicht herum, sagt Löwenstein. Diese müssten zuallererst souverän bezüglich der eigenen Versorgung werden und zweitens unabhängig von teuren Betriebsmitteln ausreichende Erträge erzielen, ohne ihre Lebensgrundlage zu zerstören. Wie? Durch ökologische Landwirtschaft, denn diese setze auf geschlossene Kreisläufe: möglichst viel aus dem Hof verwenden, möglichst wenig von außen kaufen. Zwar fallen dadurch etliche chemische Hilfsmittel aus, doch die Ökobauern entkommen den meisten Problemen, indem sie diese gar nicht erst entstehen lassen.
So bringen sie den Stickstoff durch organischen Dünger in den Boden sowie durch den Einsatz von Leguminosen, die das Element aus der Luft aufnehmen. Dadurch steigt auch der Humusgehalt des Bodens an, die Pflanzen sind widerstandsfähiger. Im ostafrikanischen Tigray stiegen durch Düngung mit Kompost die Erträge um 35 Prozent im Vergleich zu konventionellen Methoden. Der erhöhte Humusgehalt hält die Feuchtigkeit fest, was der extrem trockenen Region sehr zugutekommt. Auf den Philippinen ist aus einer Kooperation zwischen Bauern und Agrarwissenschaftlern ein nationales Programm geworden. 35 000 Familien erzielten mit 2000 selbst gezüchteten Reissorten und natürlichen Regelungsmechanismen genauso hohe Erträge wie ihre konventionell arbeitenden Nachbarn und konnten im Gegensatz zu jenen noch Eigenkapital bilden.
Diese Erfolgsgeschichten bieten eine erholsame Abwechslung zu der wenig erfreulichen Zustandsbeschreibung der ersten Buchhälfte. Allerdings bleibt fraglich, ob die lobenswerten Ansätze überall ähnlich erfolgreich aufgegriffen würden, vor allem in jenen Regionen, die seit Jahrzehnten auf Subventionen und Entwicklungsgelder angewiesen sind (ein Problem, das der Autor durchaus erwähnt). Das erfordert eine Veränderung der Mentalitäten und vor allem Wissenstransfer; denn hier geht es nicht um die Wiedereinführung der althergebrachten Landwirtschaft ("öko aus Mangel"), sondern um ausgeklügelte Produktionssysteme, deren praktische Umsetzung wesentlich heikler ist als die "der Gebrauchsanleitung auf dem Düngersack oder dem Spritzmittelkanister".
Doch die von Löwenstein empfohlene "ökologische Intensivierung" stößt auf noch weit ernstere Hindernisse, nämlich korrupte Politik, Konflikte und fehlende Rechtssicherheit: "Warum soll ich erst aussäen, wenn das Stück Acker mir morgen nicht mehr gehört?" Das verhindert schlichtweg jede Art von Landwirtschaft, ob konventionell oder ökologisch.
Leider stopft der Autor die Sachverhalte im ersten Teil des Buchs mit einer Fülle politischer und wirtschaftlicher Fakten zusammen und überfordert damit den Leser. Die wenigen Landkarten, die einiges veranschaulichen könnten, sind – grau in grau und mit unscharfen Legenden – kaum zu entziffern, und innerhalb der Hauptkapitel verliert man mangels klarer Gliederung und aussagefähiger Überschriften leicht den roten Faden. Aber die formalen Mängelchen hat man spätestens im zweiten Hauptteil verdrängt, wenn Löwenstein, der selbst sechs Jahre lang konventionell gewirtschaftet hat, uns in sein Unbehagen beim Umgang mit Pestiziden hineinzieht.
Das Buch ist spannend und veranschaulicht wesentliche Zusammenhänge in intelligenter und unterhaltsamer Weise. In der Debatte zur Welternährung der Zukunft verdient das Plädoyer für ein nachhaltigeres und gerechteres Landwirtschaftssystem auf jeden Fall, gehört zu werden...
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