"Du bist mein Schöpfer, doch ich bin dein Herr!"
Der Mensch ist "das künstliche Tier", die einzige Kreatur, die an sich selbst nicht genug finden kann. Aus dieser Prämisse stellt Norbert Borrmann in seinem Buch "Frankenstein – und die Zukunft des künstlichen Menschen" einen Bezug her zwischen der ursprünglichen, kreativen Natur des Menschen und seiner fortschreitenden und immer umfangreicher werdenden Transzendenz zum "künstlichen Menschen". Um seine provokante Grundhypothese vom Menschen als dem noch nicht fertig gestellten Geschöpf mit eingebautem faustisch-prometheischem Wesen zu belegen, führt uns der Autor durch eine bunte Welt voller Golems, Zombies und Homunkuli. In einer Reihe von Kapiteln, die so unterschiedliche Aspekte des menschlichen Schaffens wie der magischen (Alchemie) und wissenschaftlichen Methoden (Robotik, Eugenik, Gentechnik, Bodystyling) zur Schaffung neuer "Lebensformen" einerseits sowie des Kunst-Schaffens und der Künstlichkeit des Menschen in den modernen Medien andererseits beschreiben, wird unser scheinbar unstillbares Verlangen nach Höherem dargestellt. Quasi als geistige Klammer zieht der Autor immer wieder die Geschichte von Mary Shelleys "Frankenstein" heran, der im Übrigen im Rahmen eines literarischen Streifzuges durch die Welt der Wissenschaftsutopien ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Damit liegt der Tenor des Buches freilich fest: Auf Grund seines ureigenen Wesens muss der Mensch Neues schaffen und sogar sich selbst transzendieren. Doch seine Schöpfungen hat er nicht immer im Griff. Oder wie Frankensteins Kreatur nicht nur bei Shelley sondern auch bei Borrmann mehrfach mahnt: "Du bist mein Schöpfer, doch ich bin dein Herr!" Von diesem umfangreichen, mit vielen Literaturangaben versehenen und interessanten Exkurs in die kulturgeschichtliche Dimension des Themas "Frankenstein" ausgehend, wagt der Autor nun einen Blick in die Gegenwart und die Zukunft des Menschen. Er diskutiert zunächst die zunehmende Abhängigkeit des Menschen von seiner Schöpfung Computer und weist auf Trends wachsender Künstlichkeit in unserem Alltag hin. Im Epilog münden dann die vorgestellten Daten, Ideen und Spekulationen in einer Prognose über den "Homo futurus", seine Welt, seine Stärken und seine Schwächen. Wir werden sehen, ob der Autor hierbei Recht behält ... Fragwürdig bleibt Borrmanns Grundhypothese vom faustisch-prometheischen Wesen des Menschen, da fast alle angeführten mythischen, kulturellen und wissenschaftlichen Fallbeispiele dem europäischen, anglo-amerikanischen oder mediterranen Kulturraum entstammen. Mithin lässt sich also aus dieser Faktenlage nicht entnehmen, ob in der Tat "der Mensch als solcher" oder aber vielmehr der europäisch-mediterran geprägte Mensch das wahrhaft-wahnhaft "künstliche Tier" ist. Fazit: Trotz Schwächen in der Beweislage der Grundhypothese ein provokantes und durchaus lesenswertes Buch über die Antriebe, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Menschen und Gesellschaften unserer High-Tech-Welt.
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