Bauer, du hast die Gans gestohlen
Paul Murdin ist eine führende Figur der britischen Astronomie und Raumforschung: Professor in Cambridge, ehemaliger Direktor für Wissenschaft des British National Space Center und Wissenschaftsautor. Das vorliegende Buch ist so etwas wie eine erweiterte Neuauflage seiner "Canopus Encyclopedia of Astronomy" (2004), mit abgeändertem Konzept. Jedes der 65 vierseitigen Kapitel behandelt einen bestimmten Aspekt der Astronomie, seien es Arbeiten, die zu einem Nobelpreis führten, die Entdeckung einer neuen Objektklasse oder die Erschließung eines Spektralbereichs zur Beobachtung des Kosmos. Ein ausklappbarer "Stammbaum der Entdeckungen" gibt die Gliederung vor, mitsamt der Farbkodierung nach Themenbereichen, die das ganze Buch durchzieht.
Murdin folgt dem klassischen Schema "Vom Nahen zum Fernen" oder, was auf dasselbe hinausläuft, vom bloßen Auge über Fernrohre, große Teleskope und Raumsonden bis hin zu Instrumenten, die noch im Bau oder gar erst in einem Planungsstadium sind. Teilweise leuchtet die Zuordnung der einzelnen Kapitel zu den Themenbereichen nicht ein; so taucht die Energieerzeugung der Sonne im Abschnitt "Galaxis" und nicht im "Sonnensystem" auf. Dies stört aber nicht weiter; denn man liest das Buch ohnehin am besten wie eine Website, indem man per Querverweis von Kapitel zu Kapitel hüpft. Hier macht sich die Herkunft von einer Enzyklopädie bemerkbar.
Wer das Buch von vorn bis hinten liest, wird sich womöglich am stets gleichen Aufbau der Kapitel stören: Das Phänomen wird kurz erklärt; dem schließt sich die Geschichte seiner Erforschung an, die oft im 18. Jahrhundert ihren Anfang nimmt und sich dann bis in die heutige Zeit erstreckt – auf die Dauer ein wenig eintönig.
Die opulente Bebilderung macht beim ersten Aufschlagen einen prächtigen Eindruck. Dies geht allerdings zu Lasten der Textmenge. Ausführliche Beschreibungen der physikalischen Grundlagen kommen vielfach zu kurz, ebenso die kulturellen Auswirkungen. So werden die kopernikanische Revolution und die fortschreitende Abwertung der menschlichen Heimat im Kosmos in den vergangenen vier Jahrhunderten wiederholt angesprochen, jedoch meist nicht eindrücklich genug in den Kontext der jeweiligen Epoche gesetzt.
Dafür wartet Murdin immer wieder mit Anekdoten auf, zum Beispiel über den ostfriesischen Pastor David Fabricius (1564–1617), der den veränderlichen Stern Mira entdeckte. Er wurde von einem Bauern, den er beschuldigt hatte, eine Gans gestohlen zu haben, mit dem Torfspaten erschlagen. Auch die teils ausufernde Aufzählung zahlreicher Wissenschaftler, die in neuerer Zeit an einem bestimmten Thema gearbeitet haben, entspannt die Platzfrage nicht gerade – ein Problem, das durch eingestreute Zitate der Astronomen oder ihrer Zeitgenossen noch verschärft wird.
Überhaupt sind die Seiten recht vollgepackt. Fast jeder Quadratzentimeter Papier ist genutzt, wenn nicht für Inhalte, dann für Layoutelemente wie farbige Kreise oder Muster aus gestrichelten Linien. Diese ziehen sich gelegentlich auch durch den Text und die Bilder, was das Erfassen ihrer Inhalte – oder ihrer Ästhetik – stellenweise enorm stört.
Noch irritierender sind die vielen Fehler, von denen etliche allerdings nicht dem Autor, sondern der deutschen Bearbeitung zuzuschreiben sind. Da tauchen zahlreiche falsche Formulierungen, Aussagen und Begriffe auf, die sich nur durch Schlamperei oder fachliche Defizite erklären lassen. Dies betrifft sowohl den eigentlichen Text wie auch die Bildunterschriften. Ein Teil der inhaltlichen Kritik trifft jedoch Murdin selbst. Abgesehen davon, dass er bei der Aufzählung der Forscher eine Vorliebe für seine englischsprachigen Kollegen zeigt, unterlaufen ihm Detailfehler, wo es um Galileo Galilei und Wilhelm Herschel geht.
In der Astronomie der jüngeren Zeit bleibt er stellenweise die neueren Ergebnisse schuldig, beispielsweise in Bezug auf Gammastrahlungsausbrüche und aktive Galaxienkerne. Generell behandelt er die Hochenergiethemen recht stiefmütterlich: Weder die wichtigen Forschungserfolge durch die Satelliten XMM-Newton, Integral oder Fermi finden Erwähnung noch die der Tscherenkow-Teleskope wie Magic auf La Palma oder Hess in Namibia. Die Astroteilchenphysik ist unterrepräsentiert – von der Neutrinoastronomie einmal abgesehen –, obwohl dieser Bereich gerade zu voller Blüte kommt, 100 Jahre nach der Entdeckung der kosmischen Strahlung durch den Österreicher Victor Franz Hess. Trotz des Nobelpreises für Physik 1936 war dies Murdin kein zusätzliches Kapitel wert.
Auch ein weiteres Feld wird nur gestreift: die Suche nach fernen Welten (Exoplaneten) und die Möglichkeit von Leben darauf. Indem das Buch den im März 2009 gestarteten NASA-Satelliten Kepler verschweigt, geht das Buch in dieser Hinsicht an den Interessen etlicher Leser vorbei.
So empfiehlt sich das Werk hauptsächlich jenen Käufern, die einen ersten, einigermaßen breit angelegten Überblick über astronomische Objekte und Phänomene und die thematischen Querverbindungen zwischen ihnen erhalten möchten.
Murdin folgt dem klassischen Schema "Vom Nahen zum Fernen" oder, was auf dasselbe hinausläuft, vom bloßen Auge über Fernrohre, große Teleskope und Raumsonden bis hin zu Instrumenten, die noch im Bau oder gar erst in einem Planungsstadium sind. Teilweise leuchtet die Zuordnung der einzelnen Kapitel zu den Themenbereichen nicht ein; so taucht die Energieerzeugung der Sonne im Abschnitt "Galaxis" und nicht im "Sonnensystem" auf. Dies stört aber nicht weiter; denn man liest das Buch ohnehin am besten wie eine Website, indem man per Querverweis von Kapitel zu Kapitel hüpft. Hier macht sich die Herkunft von einer Enzyklopädie bemerkbar.
Wer das Buch von vorn bis hinten liest, wird sich womöglich am stets gleichen Aufbau der Kapitel stören: Das Phänomen wird kurz erklärt; dem schließt sich die Geschichte seiner Erforschung an, die oft im 18. Jahrhundert ihren Anfang nimmt und sich dann bis in die heutige Zeit erstreckt – auf die Dauer ein wenig eintönig.
Die opulente Bebilderung macht beim ersten Aufschlagen einen prächtigen Eindruck. Dies geht allerdings zu Lasten der Textmenge. Ausführliche Beschreibungen der physikalischen Grundlagen kommen vielfach zu kurz, ebenso die kulturellen Auswirkungen. So werden die kopernikanische Revolution und die fortschreitende Abwertung der menschlichen Heimat im Kosmos in den vergangenen vier Jahrhunderten wiederholt angesprochen, jedoch meist nicht eindrücklich genug in den Kontext der jeweiligen Epoche gesetzt.
Dafür wartet Murdin immer wieder mit Anekdoten auf, zum Beispiel über den ostfriesischen Pastor David Fabricius (1564–1617), der den veränderlichen Stern Mira entdeckte. Er wurde von einem Bauern, den er beschuldigt hatte, eine Gans gestohlen zu haben, mit dem Torfspaten erschlagen. Auch die teils ausufernde Aufzählung zahlreicher Wissenschaftler, die in neuerer Zeit an einem bestimmten Thema gearbeitet haben, entspannt die Platzfrage nicht gerade – ein Problem, das durch eingestreute Zitate der Astronomen oder ihrer Zeitgenossen noch verschärft wird.
Überhaupt sind die Seiten recht vollgepackt. Fast jeder Quadratzentimeter Papier ist genutzt, wenn nicht für Inhalte, dann für Layoutelemente wie farbige Kreise oder Muster aus gestrichelten Linien. Diese ziehen sich gelegentlich auch durch den Text und die Bilder, was das Erfassen ihrer Inhalte – oder ihrer Ästhetik – stellenweise enorm stört.
Noch irritierender sind die vielen Fehler, von denen etliche allerdings nicht dem Autor, sondern der deutschen Bearbeitung zuzuschreiben sind. Da tauchen zahlreiche falsche Formulierungen, Aussagen und Begriffe auf, die sich nur durch Schlamperei oder fachliche Defizite erklären lassen. Dies betrifft sowohl den eigentlichen Text wie auch die Bildunterschriften. Ein Teil der inhaltlichen Kritik trifft jedoch Murdin selbst. Abgesehen davon, dass er bei der Aufzählung der Forscher eine Vorliebe für seine englischsprachigen Kollegen zeigt, unterlaufen ihm Detailfehler, wo es um Galileo Galilei und Wilhelm Herschel geht.
In der Astronomie der jüngeren Zeit bleibt er stellenweise die neueren Ergebnisse schuldig, beispielsweise in Bezug auf Gammastrahlungsausbrüche und aktive Galaxienkerne. Generell behandelt er die Hochenergiethemen recht stiefmütterlich: Weder die wichtigen Forschungserfolge durch die Satelliten XMM-Newton, Integral oder Fermi finden Erwähnung noch die der Tscherenkow-Teleskope wie Magic auf La Palma oder Hess in Namibia. Die Astroteilchenphysik ist unterrepräsentiert – von der Neutrinoastronomie einmal abgesehen –, obwohl dieser Bereich gerade zu voller Blüte kommt, 100 Jahre nach der Entdeckung der kosmischen Strahlung durch den Österreicher Victor Franz Hess. Trotz des Nobelpreises für Physik 1936 war dies Murdin kein zusätzliches Kapitel wert.
Auch ein weiteres Feld wird nur gestreift: die Suche nach fernen Welten (Exoplaneten) und die Möglichkeit von Leben darauf. Indem das Buch den im März 2009 gestarteten NASA-Satelliten Kepler verschweigt, geht das Buch in dieser Hinsicht an den Interessen etlicher Leser vorbei.
So empfiehlt sich das Werk hauptsächlich jenen Käufern, die einen ersten, einigermaßen breit angelegten Überblick über astronomische Objekte und Phänomene und die thematischen Querverbindungen zwischen ihnen erhalten möchten.
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