Namenspatrone des kranken Geistes
Im Jahr 1919 wurde Madame M. in die große Pariser Irrenanstalt Maison- Blanche eingewiesen. Die gelernte Schneiderin behauptete, ihr Mann und ihre Tochter seien verschwunden und an deren Stelle Doppelgänger getreten, schrieb ihr Psychiater Joseph Capgras (1873 – 1950) vier Jahre später in seiner Fallstudie.
Das nach ihm benannte Capgras-Syndrom gibt bis heute Rätsel auf. Die Betroffenen lassen sich zum Beispiel nicht von der Überzeugung abbringen, ihre Verwandten seien durch Roboter oder Außerirdische ersetzt worden oder sie selbst hätten einen Doppelgänger (siehe auch G&G 1/ 2004, S. 12). Andere geben Vermisstenanzeigen auf und tragen Trauerkleidung, obwohl die vermeintlich Verschwundenen noch immer mit ihnen zusammenleben.
Dieses Syndrom ist vielleicht das skurrilste aus der Reihe neurologisch bedingter Erkrankungen, von denen Douwe Draaisma die wichtigsten in seinem neuen Buch vorstellt. Der niederländische Psychologiehistoriker widmet sich darin vor allem Störungen, die mit Eponymen benannt sind: Begriffen, die auf reale oder fiktive Personen zurückgehen. Neben Alzheimer, Korsakow und Parkinson zählen dazu unter anderem auch Hirnregionen wie das Broca-Zentrum und die Brodmann-Areale.
Bis zum Ende der 1970er Jahre wurden organisch bedingte Hirnerkrankungen wie das Capgras-Syndrom kaum beachtet; man ordnete die Symptome anderen Störungen wie der paranoiden Schizophrenie zu. Der Psychiater Capgras selbst hatte schon in den 1920er Jahren einen Abwehrmechanismus als Ursache vermutet: Seine Patientin würde auf diese Weise inzestuöse Gefühle für ihren Vater verbergen.
Erst in den 1980er Jahren zogen Psychiater neurologische Störungen als Auslöser in Betracht. Dafür sprach allein schon die Tatsache, dass mehrere Capgras-Fälle nach Hirnverletzungen beobachtet worden waren.
Einer Hypothese zufolge verläuft die Gesichtserkennung entlang zweier Wege im Gehirn: Auf dem einen wird ein Gesicht identifiziert, auf dem anderen erhält es eine emotionale Bedeutung. Bei den so genannten Prosopagnostikern sei möglicherweise nur der erste Weg gestört, bei Capgras-Patienten der zweite. Doch auch an dieser Theorie gibt es Zweifel, seitdem 2002 der Fall einer blinden Capgras- Patientin bekannt wurde.
Was Draaisma an psychiatriehistorischen Fundstücken zu Tage fördert, ist eine ungeheure Menge an ebenso merkwürdigen wie aufschlussreichen Details. Darüber hinaus räumt er mit verbreiteten Irrtümern auf; so werden Krankheiten in aller Regel nicht auf die Namen derjenigen getauft, die sie entdeckt oder als Erste ausführlich beschrieben haben. Vielmehr wurden die Eponyme häufig von anderen Wissenschaftlern, die über genügend Macht oder die nötigen Beziehungen verfügten, willkürlich durchgesetzt.
Wie diese eigentlichen Namensgeber sind heute auch die Anfänge der modernen Hirnforschung weit gehend in Vergessenheit geraten. Wie sehr es sich lohnt, sie wieder auszugraben, zeigen Draaismas Analysen anschaulich auf. Zugleich hat er damit eines der originellsten und unterhaltsamsten Bücher des Jahres geschaffen.
Das nach ihm benannte Capgras-Syndrom gibt bis heute Rätsel auf. Die Betroffenen lassen sich zum Beispiel nicht von der Überzeugung abbringen, ihre Verwandten seien durch Roboter oder Außerirdische ersetzt worden oder sie selbst hätten einen Doppelgänger (siehe auch G&G 1/ 2004, S. 12). Andere geben Vermisstenanzeigen auf und tragen Trauerkleidung, obwohl die vermeintlich Verschwundenen noch immer mit ihnen zusammenleben.
Dieses Syndrom ist vielleicht das skurrilste aus der Reihe neurologisch bedingter Erkrankungen, von denen Douwe Draaisma die wichtigsten in seinem neuen Buch vorstellt. Der niederländische Psychologiehistoriker widmet sich darin vor allem Störungen, die mit Eponymen benannt sind: Begriffen, die auf reale oder fiktive Personen zurückgehen. Neben Alzheimer, Korsakow und Parkinson zählen dazu unter anderem auch Hirnregionen wie das Broca-Zentrum und die Brodmann-Areale.
Bis zum Ende der 1970er Jahre wurden organisch bedingte Hirnerkrankungen wie das Capgras-Syndrom kaum beachtet; man ordnete die Symptome anderen Störungen wie der paranoiden Schizophrenie zu. Der Psychiater Capgras selbst hatte schon in den 1920er Jahren einen Abwehrmechanismus als Ursache vermutet: Seine Patientin würde auf diese Weise inzestuöse Gefühle für ihren Vater verbergen.
Erst in den 1980er Jahren zogen Psychiater neurologische Störungen als Auslöser in Betracht. Dafür sprach allein schon die Tatsache, dass mehrere Capgras-Fälle nach Hirnverletzungen beobachtet worden waren.
Einer Hypothese zufolge verläuft die Gesichtserkennung entlang zweier Wege im Gehirn: Auf dem einen wird ein Gesicht identifiziert, auf dem anderen erhält es eine emotionale Bedeutung. Bei den so genannten Prosopagnostikern sei möglicherweise nur der erste Weg gestört, bei Capgras-Patienten der zweite. Doch auch an dieser Theorie gibt es Zweifel, seitdem 2002 der Fall einer blinden Capgras- Patientin bekannt wurde.
Was Draaisma an psychiatriehistorischen Fundstücken zu Tage fördert, ist eine ungeheure Menge an ebenso merkwürdigen wie aufschlussreichen Details. Darüber hinaus räumt er mit verbreiteten Irrtümern auf; so werden Krankheiten in aller Regel nicht auf die Namen derjenigen getauft, die sie entdeckt oder als Erste ausführlich beschrieben haben. Vielmehr wurden die Eponyme häufig von anderen Wissenschaftlern, die über genügend Macht oder die nötigen Beziehungen verfügten, willkürlich durchgesetzt.
Wie diese eigentlichen Namensgeber sind heute auch die Anfänge der modernen Hirnforschung weit gehend in Vergessenheit geraten. Wie sehr es sich lohnt, sie wieder auszugraben, zeigen Draaismas Analysen anschaulich auf. Zugleich hat er damit eines der originellsten und unterhaltsamsten Bücher des Jahres geschaffen.
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