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Der lange Weg von Gregor Mendel zu Craig Venter

Die Geschichte der Genetik ist verhältnismäßig kurz – aber überaus ereignisreich und gesellschaftlich bedeutsam. In nur 150 Jahren hat sie eine dramatische Entwicklung durchlaufen: vom beschaulichen Klostergarten von Brünn, wo der Mönch Gregor Mendel seine Erbsen zählte, bis zu börsennotierten Unternehmen und bohrenden Fragen nach den Persönlichkeitsrechten von Menschen.

Zwei Autoren nähern sich von sehr verschiedenen Ausgangspunkten dem Ziel, ein und dieselbe Geschichte zu erzählen. Der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer tut es stets unterhaltsam und teilweise spannend wie in einem Krimi. Der emeritierte Professor Rolf Knippers müht sich erkennbar mehr damit ab, das Material aus seinem Lehrbuch "Molekulare Genetik" einzudampfen, um zusätzlich Platz für Geschichten von Forschern und ihren historischen Versuchen zu schaffen. Beide orientieren sich beim Aufbau im Großen und Ganzen an der Chronik bahnbrechender Erkenntnisse.

Mendels Versuche von 1865 gerieten zunächst in Vergessenheit. Doch schon bald nachdem Anfang des 20. Jahrhunderts mehrere Wissenschaftler deren Bedeutung erkannt hatten, gelang der nächste wichtige Schritt: Theodor Boveri (1862 – 1915) und Walter Sutton (1877 – 1916) identifizierten die Chromosomen als Träger der Gene. Dem "Fliegenpapst" Thomas Hunt Morgan (1866 – 1945) gelang es, aus dem Vererbungsmuster verschiedener Mutationen bei der Taufliege Drosophila die Position der zugehörigen Gene auf den Chromosomen zu erschließen.

Erst 1952 kamen Alfred Hershey (1908 – 1997) und Martha Chase (1927 – 2003) zu der Einsicht, dass Gene nicht aus Proteinen aufgebaut sind, sondern aus DNA. Ein Jahr später folgte der bekannte Krimi um die Aufklärung ihrer Doppelhelix-Struktur mit den Protagonisten James Watson und Francis Crick. Im "schönsten Experiment der Biologie" zeigten 1958 Matthew Meselson und Franklin Stahl mit Hilfe schwerer Stickstoffisotope, dass jeder Einzelstrang der DNA sich beim Kopieren einen neuen Partner zulegt.

Nach der Entschlüsselung des genetischen Kodes, bei der neben Francis Crick Marshall Nirenberg und Heinrich Matthaei Pionierarbeit geleistet hatten, läuteten zwei Entdeckungen die Geburtsstunde der Gentechnologie ein: Zum einen stieß eine Gruppe von Wissenschaftlern auf Enzyme, mit denen sich die DNA an charakteristischen Stellen zerschneiden lässt. Zum anderen kam Kary Mullis während einer nächtlichen Autofahrt eine Methode in den Sinn, ausgewählte DNA-Fragmente nahezu beliebig oft zu vermehren (Spektrum der Wissenschaft 6/1990, S. 60).

Schon bald nach den ersten gentechnischen Experimenten mit Modellorganismen wie Drosophila und dem Zebrafisch Danio rerio wagten sich die Forscher an große Herausforderungen. Das mündete Ende des letzten Jahrtausends in der Geburt von Klonschaf "Dolly" sowie in dem Wettrennen, wer das Genom eines Menschen am schnellsten und günstigsten sequenzieren kann.

Knippers streut in die chronologische Darstellung immer wieder Exkurse ein, in denen er Hintergründe erklärt oder Anwendungen aufführt. Einige Beispiele: Das Genom eines Bakteriums enthält im Gegensatz zu dem höherer Organismen keine "Introns" – das sind Abschnitte, die nach der Transkription aus der RNA herausgespleißt werden. Und mit molekularbiologischen Untersuchungen gelang es, die sterblichen Überreste der 1918 ermordeten russischen Zarenfamilie 75 Jahre später zu identifizieren. Darüber hinaus geht Knippers ausführlich auf ethische Fragen ein, die sich aus den wissenschaftlichen Fortschritten ergeben, wie zum Beispiel der Möglichkeit, das eigene Erbgut entschlüsseln zu lassen, oder der Verwendung von embryonalen Stammzellen.

Fischer erweitert die Erzählung in andere Richtungen: Er räumt den Lebensläufen maßgebender Wissenschaftler ähnlich viel Platz ein wie der Erklärung ihrer Forschungsergebnisse. Dabei spart er unrühmliche Details nicht aus wie den abstrusen Vorschlag des alten Francis Crick, das Zeugen von Kindern nur einer kleinen Elite zu gestatten.

Auch Fischer kommt auf die mit dem Klonen von Menschen verbundene ethische Problematik zu sprechen. Zu gesellschaftlich wirklich umstrittenen Fragen äußert er sich im Gegensatz zu Knippers leider nicht.

Eine erhebliche Anzahl von Fachbegriffen lässt sich bei dem komplexen Thema wohl nicht vermeiden. Fischer hilft dem Leser mit zahlreichen Abbildungen, einem Glossar und Infokästen, die zum Beispiel den aktuellen Stand der Forschung zur genetischen Komponente von Krebs darstellen. Nur an sehr wenigen Stellen, etwa wo es um den Zusammenbau von Antikörpern aus verschiedenen Einzelketten geht, werden Nichtbiologen wahrscheinlich doch aussteigen.

Auch Knippers verwendet viele Grafiken, die er teilweise aus seinem Lehrbuch, vielfach aber auch aus Originalveröffentlichungen entnommen hat. Laien dürfte er damit an vielen Stellen überfordern, zumal die zahlreichen Fachbegriffe in keinem Glossar erklärt werden.

Insgesamt ist es ihm gelungen, ein überaus umfangreiches Thema in all seinen Fassetten so zu beleuchten, dass dabei ein einheitliches Ganzes entstanden ist. Leider werden wohl nur Leser mit naturwissenschaftlichem Hintergrund diese große Leistung in vollem Umfang würdigen können.

Fischers Werk dürfte dagegen ein größeres Publikum ansprechen, denn sein fundierter, detaillierter und aktualitätsbezogener Überblick eignet sich auch für Laien, ohne dass er Fachleute langweilen würde.

  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 1/2013

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