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Geografie - Gar nicht geheimnisvoll

Es läuft stets gleich ab, wenn ich in einer Vorstellungsrunde sage, dass ich Geografin bin. Es wird still, und dann kommt sie, die unvermeintliche Frage: "Ja, und was macht man als Geograf?" Viele Menschen denken an "Stadt – Land – Fluss" oder Heimatkunde. Ich versuche zu erklären, dass ich als Physische Geografin gelernt habe, eine Landschaft zu verstehen und ihre Entwicklung zu erklären. Ich erforsche, wie sie funktioniert, und wohin sie sich entwickeln kann. Meist ernte ich dann fragende Blicke. Und wenn ich schließlich voller Überzeugung beteuere, dass die Geografie die Wissenschaft von der Welt ist, in der wir leben, wendet sich der Gesprächspartner ab und ich fühle mich als Hochstaplerin.

Jetzt endlich gibt es ein Buch, das mir den Rücken stärkt und schwarz auf weiß darlegt, dass die Geografie tatsächlich die Welt erklärt, in der wir leben: Auf über 1000 Seiten geben die Autoren von "Geographie" einen Einblick in die ganze Bandbreite meines Fachs. Es ist seit vielen Jahren das erste Geografie-Lehrbuch, das beide Teildisziplinen "Humangeografie" und "Physische Geografie" umfasst. Damit stemmt sich der Verlag absolut gegen den Strom der Zeit, driften beide Teilgebiete doch derzeit auseinander wie Afrika und Südamerika. Dabei ist es gerade die Stärke dieses Faches, dass es auf einem naturwissenschaftlichen und einem gesellschaftswissenschaftlichen Bein steht.

Die vier Herausgeber Hans Gebhardt, Rüdiger Glaser, Ulrich Radtke und Paul Reuber sind renommierte deutsche Wissenschaftler, die zum Teil bereits Lehrwerke zu einzelnen Disziplinen publiziert haben. Auch unter den 120 Autoren sind einige Verfasser mehr oder weniger beliebter Standardwerke, wie beispielsweise Heinz Heineberg, dessen Kapitel zur Stadtgeografie seinem gleichnamigen schmalen Büchlein sehr ähnelt. Aber auch junge Professoren, die ihrer Fachrichtung neue Impulse gegeben haben, sind unter den Schreibenden. Besonders hervorzuheben ist das Kapitel zur Geomorphologie, denn hier bieten Wissenschaftler der jüngeren Generation einen erfrischend entrümpelten Einblick in diese klassische Teildisziplin der Physischen Geografie.

Nach drei allgemeinen Kapitel zum Selbstverständnis, den Arbeitsmethoden und dem Untersuchungsgegenstand der Geografie folgt zunächst das Kapitel zum Physischen Teil und anschließend jenes zum Kulturwissenschaftlichen. Jedes der beiden Hauptkapitel schließt mit Beispielen zu aktuellen interdisziplinären Forschungsfelder ab. Das für ein Lehrwerk sehr aktuelle Literaturverzeichnis zu jedem Unterkapitel ermöglicht außerdem eine schnelle Vertiefung in die jeweiligen Fachbereiche. Das Abschluss-Kapitel "Natur und Gesellschaft" reißt die aktuellen Schnittfelder von Human- und Physischer Geografie an und macht eindrucksvoll klar, dass bewegende Themen, die den Alltag vieler Menschen bestimmen, tatsächlich Schwerpunkte der Geografen sind.

Zahlreiche Karten, Fotografien und Zeichnungen unterstützen die Aussagen im Text, lockern das Layout auf und erleichtern das Lesen – die Fotografien sind allerdings nicht immer von bester Qualität. Einige Karten und Zeichnungen kennt man aus älteren Lehrwerken, aber sie wurden überarbeitet und sind ansprechend gestaltet.

Das Buch ist für ein Fachpublikum geschrieben und wird zukünftig in keiner geowissenschaftlichen Institutsbibliothek fehlen. Es ist empfehlenswert für das Grundstudium der Geografie oder zur Vorbereitung auf die ersten Prüfungen. Aber auch Geografielehrer können sich damit einen aktualisierten Gesamtüberblick über das Fach verschaffen. Da die Herausgeber auf ein Glossar verzichtet haben, sollte man beim Lesen einen Weltatlas, ein Geografie- und ein Englisch-Wörterbuch parat haben. Für Laien ist es allerdings auch dann keine leichte Kost.

Andererseits nutzen Autoren und Herausgeber viele populäre Anknüpfungspunkte wie den Roman "Die Vermessung der Welt", den Film "The day after tomorrow" oder den Tsunami vom Dezember 2004 und zeigen damit lebensnah, was alles zum Forschungs- und Arbeitsgebiet von Geographen gehört: endlich eine Gesamtschau der so unterschätzten Disziplin. Wer diese Buch einmal in den Händen hatte, wird nicht mehr fragen "Und was macht man so, als Geograf?"

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