Geschichte des Ingenieurs
"Ebenso hat der Mensch die völlige Herrschaft über alle Güter der Erde; wir ziehen Nutzen aus ebenem und bergigem Gelände, uns gehören die Flüsse und Seen, wir säen Getreide und pflanzen Bäume; wir leiten Wasser auf unsere Ländereien und machen sie dadurch fruchtbar, wir dämmen Flüsse ein … und leiten sie ab, ja wir versuchen mit unseren Händen inmitten der Natur gleichsam eine zweite Natur zu schaffen."
Mit solch stolzen Worten pries Cicero zur Zeit der römischen Republik die Menschen – oder vielmehr jene wenigen unter ihnen, die in die Natur einzugreifen und deren Kraft zu nutzen vermögen: die Ingenieure.
Eine "Geschichte des Ingenieurs" zu schreiben ist schon deswegen nicht einfach, weil der Berufsstand nicht einfach zu definieren ist und in verschiedenen historischen Epochen sehr verschieden gesehen wurde. Für den vorliegenden Band, der zum 150. Jubiläum des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) erscheint, haben die Autoren das Ingenieurwesen mit den ersten Hochkulturen beginnen lassen und jeweils nur die Zentren der Entwicklung gewählt. Ein gelungener Kompromiss, der allerdings dem Leser einen Zeitraum von 6000 Jahren zumutet!
Das erste und kürzeste Kapitel fokussiert auf den Alten Orient: Mesopotamien, Persien, die Levante. Königliche Bauprojekte stehen im Vordergrund; über die einzelnen Ingenieure gibt es nur bruchstückhaftes Wissen. In der griechischen und römischen Antike dagegen wird bereits deutlicher unterschieden zwischen Architekten, Ingenieuren und Handwerkern, auch werden herausragende Personen bekannt.
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit diversifizieren sich Aufgaben und Berufe; Regeln zur Realisierung einzelner Gewerke wurden stets im persönlichen Kontakt weitergegeben. Kurz geht der Autor Marcus Popplow auf außereuropäische Entwicklungen ein. Bemerkenswert die Anfänge des Patentwesens. Neue Darstellungsformen erobern ihren Platz, gedruckte Bücher gehen in die Massenfertigung; erste Ansätze zur Formalisierung technischer Forschung zeigen sich.
Zwei ausführliche Kapitel beschreiben die Entwicklungen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten einerseits sowie in Frankreich und Deutschland andererseits zwischen 1750 und 1945. Überraschend groß sind die kulturellen Unterschiede in Ausbildung, Leitbild, Karriere und beruflicher Organisation.
Die beiden nachfolgenden Kapitel setzen sich mit den unterschiedlichen Wegen auseinander, welche die Ingenieure in West- und Ostdeutschland nahmen, und geben auch einen Einblick in technische Entwicklungen. Rechts-, Hochschul-, Sozial- und Staatspolitik dominieren die Tätigkeit des Ingenieurs ebenso wie die Darstellung.
Zum Abschluss schildert der weit gereiste Ingenieur Helmut Winkler sein überdurchschnittlich vielfältiges Berufsleben von der Nato-Waffentechnik bis zum akademischen Wissenstransfer in Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer.
Das Buch ist so heterogen wie sein Thema, denn in "dem Ingenieur" verzahnen sich naturgemäß Berufsbild, Personen, Maschinen, Projekte und Wissenschaft. Das unklare Bild des Ingenieurs wird abgestaubt, der Glanz darunter sichtbarer.
Wer aber hat das Buch entworfen, die in ihrem Fach überaus kompetenten Autoren (die meisten sind Hochschullehrer) oder Redakteure? Die informativen Kapitel, flüssig geschrieben in bestem Deutsch, haben keinen gemeinsamen Aufbau und unterscheiden sich in Stil, Ausführlichkeit, Zahl und Qualität der Abbildungen. Das letzte Kapitel, aus der Ich-Position geschildert, gibt zwar interessante Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb, allerdings sind die Abbildungen weit gehend entbehrlich. Wozu soll der Leser sich drei nigerianische Generäle oder das Eingangstor einer Universität anschauen? An Stelle akademischer Histörchen wäre hier der Platz für ingenieurtechnische UN-Arbeit gewesen. Auch vermisst der Leser die erfolgreiche Arbeit von Ingenieuren in der EU sowie den Ausblick auf die Zukunft, beispielsweise in der europäischen Raumfahrtagentur.
Was ist, wenn man mit dem Buch tatsächlich arbeiten will? Gut: Literaturhinweise, Personen- und Sachregister; schlecht: fehlende Zwischentitel verzögern die Navigation erheblich; viel Platz geht in der kaum genutzten Marginalspalte verloren; die Abbildungstexte sind fast alle zu kurz. Die Schlussredaktion war nahezu perfekt; es verblieben nur vereinzelte Schreibfehler und unnötige ("Sinn machende") Anglizismen.
Herausgekommen ist, trotz punktueller Schwächen, ein sehr lesenswerter Überblick über einen der vielfältigsten Berufe überhaupt. Dieser Band bietet die bislang beste Zusammenfassung und wird zweifellos ein Standardwerk für Lehrkräfte und Bibliotheken werden.
Ein Teil der Lesbarkeit ergibt sich daraus, dass nicht allein die Techniken des Bau- oder Militärwesens im Vordergrund stehen, sondern die Menschen. Ein Beispiel: Mittelalterliche Waffenmeister gehörten zu jenen Fachkräften, die gelegentlich auch mal die Seite wechselten, wenn ein besseres Angebot kam – oder auch nach einer Schlacht; galt ihr Wissen schließlich als wertvolle, quasi neutrale Ressource, die nicht verschwendet werden sollte. Im Buch wird von einer Begebenheit aus dem Jahr 1333 erzählt, als die Burg Schwanau im Elsass erobert wurde: Die Sieger waren von der Effektivität des feindlichen magister machinae so angetan, dass sie ihm die zweifelhafte Ehre erwiesen, ihn in eines seiner eigenen Wurfgeschütze zu packen und in Richtung Mond zu schießen. Bis heute, wenn auch nicht überall so gravierend, bleibt das wohl Berufsrisiko.
Mit solch stolzen Worten pries Cicero zur Zeit der römischen Republik die Menschen – oder vielmehr jene wenigen unter ihnen, die in die Natur einzugreifen und deren Kraft zu nutzen vermögen: die Ingenieure.
Eine "Geschichte des Ingenieurs" zu schreiben ist schon deswegen nicht einfach, weil der Berufsstand nicht einfach zu definieren ist und in verschiedenen historischen Epochen sehr verschieden gesehen wurde. Für den vorliegenden Band, der zum 150. Jubiläum des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) erscheint, haben die Autoren das Ingenieurwesen mit den ersten Hochkulturen beginnen lassen und jeweils nur die Zentren der Entwicklung gewählt. Ein gelungener Kompromiss, der allerdings dem Leser einen Zeitraum von 6000 Jahren zumutet!
Das erste und kürzeste Kapitel fokussiert auf den Alten Orient: Mesopotamien, Persien, die Levante. Königliche Bauprojekte stehen im Vordergrund; über die einzelnen Ingenieure gibt es nur bruchstückhaftes Wissen. In der griechischen und römischen Antike dagegen wird bereits deutlicher unterschieden zwischen Architekten, Ingenieuren und Handwerkern, auch werden herausragende Personen bekannt.
Im Mittelalter und der frühen Neuzeit diversifizieren sich Aufgaben und Berufe; Regeln zur Realisierung einzelner Gewerke wurden stets im persönlichen Kontakt weitergegeben. Kurz geht der Autor Marcus Popplow auf außereuropäische Entwicklungen ein. Bemerkenswert die Anfänge des Patentwesens. Neue Darstellungsformen erobern ihren Platz, gedruckte Bücher gehen in die Massenfertigung; erste Ansätze zur Formalisierung technischer Forschung zeigen sich.
Zwei ausführliche Kapitel beschreiben die Entwicklungen in Großbritannien und den Vereinigten Staaten einerseits sowie in Frankreich und Deutschland andererseits zwischen 1750 und 1945. Überraschend groß sind die kulturellen Unterschiede in Ausbildung, Leitbild, Karriere und beruflicher Organisation.
Die beiden nachfolgenden Kapitel setzen sich mit den unterschiedlichen Wegen auseinander, welche die Ingenieure in West- und Ostdeutschland nahmen, und geben auch einen Einblick in technische Entwicklungen. Rechts-, Hochschul-, Sozial- und Staatspolitik dominieren die Tätigkeit des Ingenieurs ebenso wie die Darstellung.
Zum Abschluss schildert der weit gereiste Ingenieur Helmut Winkler sein überdurchschnittlich vielfältiges Berufsleben von der Nato-Waffentechnik bis zum akademischen Wissenstransfer in Entwicklungs-, Schwellen- und Industrieländer.
Das Buch ist so heterogen wie sein Thema, denn in "dem Ingenieur" verzahnen sich naturgemäß Berufsbild, Personen, Maschinen, Projekte und Wissenschaft. Das unklare Bild des Ingenieurs wird abgestaubt, der Glanz darunter sichtbarer.
Wer aber hat das Buch entworfen, die in ihrem Fach überaus kompetenten Autoren (die meisten sind Hochschullehrer) oder Redakteure? Die informativen Kapitel, flüssig geschrieben in bestem Deutsch, haben keinen gemeinsamen Aufbau und unterscheiden sich in Stil, Ausführlichkeit, Zahl und Qualität der Abbildungen. Das letzte Kapitel, aus der Ich-Position geschildert, gibt zwar interessante Einblicke in den Wissenschaftsbetrieb, allerdings sind die Abbildungen weit gehend entbehrlich. Wozu soll der Leser sich drei nigerianische Generäle oder das Eingangstor einer Universität anschauen? An Stelle akademischer Histörchen wäre hier der Platz für ingenieurtechnische UN-Arbeit gewesen. Auch vermisst der Leser die erfolgreiche Arbeit von Ingenieuren in der EU sowie den Ausblick auf die Zukunft, beispielsweise in der europäischen Raumfahrtagentur.
Was ist, wenn man mit dem Buch tatsächlich arbeiten will? Gut: Literaturhinweise, Personen- und Sachregister; schlecht: fehlende Zwischentitel verzögern die Navigation erheblich; viel Platz geht in der kaum genutzten Marginalspalte verloren; die Abbildungstexte sind fast alle zu kurz. Die Schlussredaktion war nahezu perfekt; es verblieben nur vereinzelte Schreibfehler und unnötige ("Sinn machende") Anglizismen.
Herausgekommen ist, trotz punktueller Schwächen, ein sehr lesenswerter Überblick über einen der vielfältigsten Berufe überhaupt. Dieser Band bietet die bislang beste Zusammenfassung und wird zweifellos ein Standardwerk für Lehrkräfte und Bibliotheken werden.
Ein Teil der Lesbarkeit ergibt sich daraus, dass nicht allein die Techniken des Bau- oder Militärwesens im Vordergrund stehen, sondern die Menschen. Ein Beispiel: Mittelalterliche Waffenmeister gehörten zu jenen Fachkräften, die gelegentlich auch mal die Seite wechselten, wenn ein besseres Angebot kam – oder auch nach einer Schlacht; galt ihr Wissen schließlich als wertvolle, quasi neutrale Ressource, die nicht verschwendet werden sollte. Im Buch wird von einer Begebenheit aus dem Jahr 1333 erzählt, als die Burg Schwanau im Elsass erobert wurde: Die Sieger waren von der Effektivität des feindlichen magister machinae so angetan, dass sie ihm die zweifelhafte Ehre erwiesen, ihn in eines seiner eigenen Wurfgeschütze zu packen und in Richtung Mond zu schießen. Bis heute, wenn auch nicht überall so gravierend, bleibt das wohl Berufsrisiko.
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