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Zwei Jahre unter Tage

Klio, die Muse der Geschichte, wartet manchmal mit Überraschungen auf. So auch am Karfreitag 1965, als die Brüder Heinz und Josef Gens den Neubau des väterlichen Geschäfts in der Kölner Südstadt vorbereiten. Als sie im Keller ihres Elternhauses das Fundament für den Neubau anlegen, stoßen sie auf einen alten Brunnenschacht. Darin finden sie zunächst Relikte aus der Neuzeit und dann solche aus dem Mittelalter, was ihre Neugierde weckt. Sie graben tiefer und fördern bald auch Überbleibsel aus der Römerzeit zutage. Darunter sind zahlreiche Teile, die einst zu einem großen Grabmal gehörten – wie sich noch herausstellen wird, zu einem der bedeutendsten Monumente der Römerzeit in der Region nördlich der Alpen.

Gemeinsam mit ein paar Freunden arbeiten sich die Schatzsucher immer weiter in die Vergangenheit vor. Neben Scherben und Knochen bergen sie römische Statuen, Säulen und Kapitelle. Von dieser spektakulären Ausgrabungsgeschichte erzählt das Buch des gelernten Maschinenbau-Ingenieurs Josef Gens sehr anschaulich und unterhaltsam. Es berichtet davon, wie die Hobbyarchäologen zwei Jahre lang zu Werke gehen und mit welchen Widrigkeiten sie dabei unter Tage kämpfen müssen. Mit einem selbstgebastelten Kran ziehen die Laiengräber die Fundstücke aus bis zu 9 Meter Tiefe empor.

Bald stoßen sie auf Steinquader mit reich verziertem Reliefschmuck, darunter ein Block mit dem Hirtengott Pan. Sie verständigen das Römisch-Germanische Museum in Köln, das nach einigen Monaten ein Grabungsverbot wegen »Gefährdung der Bausubstanz« verhängt. Da haben die Hobbyarchäologen aber schon damit begonnen, ein statisch abgesichertes Bergwerk mit mehreren Grabungsstollen anzulegen, geschätzter Materialverbrauch: 7 Kubikmeter Fertigbeton, 35 Meter Eisenträger, 10000 Ziegel und 90 Sack Zement. Deshalb beschließen sie, ihre Arbeiten ungeachtet des Verbots fortzusetzen – stets nachts an den Wochenenden, um keinen Verdacht zu erregen.

Ihre archäologische Ausschachtung tarnen die Brüder, indem sie Balken darüber legen und mit Erde bedecken. Die Idee hierzu haben sie aus dem Film »Sieben goldene Männer«, eine Gaunerkomödie aus dem Jahr 1965, in der Bankräuber einen Tunnel unter den Tresorraum eines Schweizer Geldinstituts treiben. Den Zugang zur Fundstelle mauern die Laiengräber zu – und schaffen dafür einen geheimen Einlass, der durch die präparierte Rückwand einer Kommode führt. So gelingt es ihnen monatelang, unbemerkt Meter um Meter ins Erdreich vorzudringen. Wie Bergmänner stützen sie die Fundamente des Wohnhauses über ihnen ab, damit es nicht einstürzt; wie Archäologen vermerken sie akribisch jeden Fund, den sie machen. Am Ende haben sie siebzig sorgfältig behauene Steinquader aus dem Boden gehievt, die vor 2000 Jahren zu einem pompösen, rund 15 Meter hohen Grabmal gehörten, das der Auftraggeber für sich und seine Familie errichten ließ.

Dessen Identität geben 4 Quader preis, die – richtig zusammengesetzt – das Geheimnis um die Fundstätte lüften. Aus ihnen geht hervor, dass es sich um das Grabmal eines gewissen Lucius Poblicius handelt, der um die Zeitenwende geboren wurde und als Soldat in der "Legio V Alaudae" diente, die einst von Julius Cäsar aufgestellt worden war. Diese Legion wurde während der Germanienfeldzüge unter Kaiser Augustus an die Rheingrenze verlegt und bezog in Vetera, nahe dem heutigen Xanten, ihr Standquartier. Dort verbrachte Poblicius zwischen 35 und 40 nach Chr. seine letzten Dienstjahre, die ihn sicher auch nach Köln führten, das damals noch Oppidum Ubiorum (Siedlung der Ubier) hieß.

In der "Ubierstadt" ließ sich Poblicius als Veteran nieder, nachdem er aus dem Militärdienst ausgeschieden war. Das machten damals viele Ex-Legionäre (lat.: veterani) so. Der römische Staat hatte ein Interesse daran, ehemalige Soldaten in den Provinzen anzusiedeln. Sie wurden mit großzügiger Landzuweisung umworben oder erhielten eine hohe Entlassungsprämie, mit der sie sich als Handwerker oder Händler selbstständig machen konnten, wobei sie ihren Wohnsitz häufig nahe ihrer früheren Militärlager oder in Provinzstädten nahmen. Auf jeden Fall muss Poblicius, der römische "Wahlkölner", in seinem Zivilleben zu großem Reichtum gekommen sein, um eine derart monumentale Grabanlage errichten zu lassen.

Das Grabmal ist noch heute eine der größten Attraktionen des Römisch-Germanischen Museums in Köln. Doch was viele nicht wissen: So, wie es dort Anfang der 1970er Jahre aufgebaut wurde, kann es nicht ausgesehen haben – da ist sich Josef Gens ganz sicher. Und so macht sich der heutige Pensionär wieder auf die Suche nach fehlenden Quadern, um damit das Monument neu zu rekonstruieren. Einen Entwurf hierfür liefert er in seinem Band gleich mit.

Wer "Grabungsfieber" zur Hand nimmt, auf den erwartet ein spannungsgeladener archäologischer Krimi. Doch Vorsicht – es besteht die Gefahr, nicht mehr von dem Buch loszukommen!

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