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Lügen mit Händen und Füßen

"Lügen, mein lieber Junge, lassen sich sofort erkennen, weil es zwei Arten gibt. Da gibt es die mit kurzen Beinen und die mit langen Nasen." Ganz so einfach, wie der italienische Schriftsteller Carlo Collodi (1826 – 1890) in "Pinocchio" fabulierte, scheint es nicht zu sein. Zumindest haben Forscher bislang keinen eindeutigen Lügenindikator nachweisen können. Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, müssen Kriminalbeamte, Psychologen und Juristen heute eine Flut von Hinweisen interpretieren – Intona­tion, Stimmklang, Mimik, Körperhaltung, Atmung und Schweißproduktion.

Einen Überblick über die nonverbalen Indizien der Lüge haben nun der bekannte Emotionsforscher Paul Ekman sowie der ehemalige FBI-Agent Joe Navarro jeweils in einem Buch zusammengetragen. Zu ihrer Expertise auf diesem Gebiet gelangten sie auf ganz unterschiedlichen Wegen: der eine im Forschungslabor, der andere im Vernehmungsraum.

Ekmans kritischer Ratgeber soll all jenen als Orientierung dienen, die im Beruf zwischen Lüge und Wahrheit unterscheiden müssen. Navarro, der damit quasi zu Ekmans Zielgruppe gehört, will dagegen einen Wegweiser für den Alltag liefern. Er inventarisiert und deutet Dutzende von Körpersignalen, die mit bloßem Auge erkennbar sind.

In einem Punkt sind sich die Autoren einig: Eine pauschale Anleitung für das Lesen von Körpersignalen (und hierin widersprechen sie den vollmundigen deutschen Titeln ihrer Bücher) gibt es nicht. Ekman betont, es existiere kein physiologischer Beweis für Täuschung per se: "Keine Geste, kein Gesichtsausdruck und kein Muskelzucken allein ist ein Zeichen, dass jemand lügt." Es gebe lediglich Hinweise etwa darauf, dass die Gefühle eines Menschen nicht mit seinen Äußerungen übereinstimmen. Der Forscher müsse diese unzähligen Details beobachten und auswerten, um eine einzige Lüge entlarven zu können. Letztlich erlaube dieses Vorgehen aber nur, die Wahrscheinlichkeit dafür einzuschätzen, dass jemand lügt – nicht mehr, und auch nicht weniger.

Ekman gräbt aber noch eine Ebene tie­fer. Weil sich Lügner oft nur in so genannten Mikroemotionen (kaum wahrnehmbaren mimischen Reaktionen) verraten, nimmt er die Zeitlupe zu Hilfe. Dieser Blick aufs Detail führt zu interessanten Ergebnissen. So beschreibt der Psychologe nicht einfach das Lächeln als solches, sondern unterscheidet unter anderem zwischen kläglichem und verachtendem, ängstlichem und kokettem Lächeln.

Navarros Beobachtungen bleiben im Vergleich dazu trotz ihrer Vielzahl oft oberflächlich. Nach Mimik, Rumpf und Armen widmet sich der Verhaltenstrainer den, wie er sagt, "ehrlichsten Körperteilen" – den Füßen. Der Agent deutet etwa im Stand gekreuzte Beine als Indiz für Wohlgefühl und gen Himmel gestreckte Zehen als Barometer für gute Laune. Obwohl viele seiner Schilderungen schlüssig sind (wenn auch nicht unbedingt neu), lehnt er sich mit manchen Interpretatio-nen zu weit aus dem Fenster: "Bei Familien (…) ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Elternteil seine (…) Vorliebe für ein Kind dadurch offenbart, dass er die Beine so kreuzt, dass er sich in Richtung des Lieblingskindes lehnt."

Bei solchen Feststellungen mangelt es schlicht an wissenschaftlichen Belegen. Während Ekman seine Spurensuche an ­eigenen Forschungsergebnissen aufhängt, beruft sich der FBI-Agent lediglich auf seine Erfahrung und die Evolutionstheorie. Ob Fußwippen oder Wimpernzucken – alles gründet demnach in unseren Ur­instinkten und lässt sich in eine von drei Schubladen sortieren: Schockstarre, Flucht oder Angriff.

So spannend seine FBI-Fallgeschichten sind: Schade, dass Navarro überwiegend Beispiele anführt, bei denen er selbst die Hauptrolle spielt. Ekman hingegen belegt seine Aussagen nicht nur anhand empirischer Forschung, sondern prüft sie auch an aktuellen und historischen Fällen nach. Er blickt hinter die Kulissen des Watergate-Skandals und diskutiert physiologische Ursachen für Woody Allens "Trauerbraue".

Trotz komplizierter wissenschaftlicher Zusammenhänge fällt die Lektüre leicht. Einziger Wermutstropfen sind die häufigen Wiederholungen. Die Beispiele hätten ihre Wirkung auch dann nicht verfehlt, wenn er sie nur einmal statt vier- oder fünfmal herangezogen hätte.

Beide Bücher haben ihren Reiz – Navarros vor allem wegen der Anekdoten aus seinem Agentenleben, Ekmans wegen seiner wissenschaftlichen Fundiertheit. Wer sich mit dem Thema ernsthaft auseinandersetzen will, sollte aber zu letzterem greifen.
  • Quellen
Gehirn&Geist 4/2011

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