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Rastlos im Wohlstandsdschungel

Der moderne Großstadtmensch hat’s furchtbar schwer. Er ist Teil einer Gesellschaft, die ihm enorme Freiheiten und Wahlmöglichkeiten bietet – doch er kann sich nie so richtig entscheiden. Er lebt, zumindest als Europäer, meist in einem wohlhabenden Land und verdient passabel – doch je mehr Geld er anhäuft, desto unsozialer wird er. Und je nachdrücklicher er seine Karriere antreibt, desto höher ist sein Risiko, psychische Störungen zu entwickeln. So jedenfalls sieht es der Wissenschaftsjournalist Bas Kast in seinem neuen Buch, in dem er unterhaltsam viele Erkenntnisse über den Stadtneurotiker präsentiert.

Warum also sind wir so unzufrieden, ziellos und gestresst, obwohl es uns eigentlich gut gehen sollte? Kast, studierter Psychologe und Biologe, identifiziert drei Ursachen: Erstens zwingt uns die ganze Optionsvielfalt, ständig auswählen zu müssen. Und mit jeder Wahl verzichten wir auf Alternativen, die uns – vielleicht – glücklicher gemacht hätten. Das stresst schon bei 25 Marmeladensorten im Supermarkt, und noch ärger wird’s etwa bei der Wahl des richtigen Berufs.

Zweitens versucht Kast nachzuweisen, dass Wohlstand und Reichtum soziale Isolation begünstigen. Je mehr Geld wir besitzen, desto weniger sind wir von anderen abhängig – Reichtum untergräbt die Gelegenheiten für Freundschaftsdienste, auf die wir dann bequemerweise verzichten. Der Autor führt die Glaubensgemeinschaft der Amish aus den USA als Gegenbeispiel an: ein Kollektiv, das alle Dienstleistungen im sozialen Miteinander regelt.

Am treffendsten ist Kasts Argumentation beim dritten Punkt: der Rastlosigkeit. Optionsvielfalt, Karriereziele, Produktivitätsdenken, dazu der ganze elektronische Informationsüberfluss – dies alles mache uns zu ruhelosen Quenglern ohne Genussfähigkeit. Denn wir könnten ja andauernd etwas verpassen.

Das Buch ist ohne Zweifel eine Fleißarbeit. Kast zitiert zahlreiche Studien und listet im Literaturteil akribisch alle Stellen auf, die seine Aussagen stützen. Dazu zeigt er Zusammenhänge in Form kleiner Statistiken auf, die einige Aha-­Effekte auslösen. Seine Art zu scheiben ist noch dazu kurzweilig, auch dank vieler Beobachtungen und Anekdötchen aus dem Bekanntenkreis, und einiges wird der Leser mit einem peinlich berührten Schmunzeln quittieren. Allerdings sind viele der geschilderten Zusammenhänge weder neu noch sonderlich überraschend. Im letzten Teil, in dem der Autor verrät, wie sich das Glück trotz aller Widrigkeiten finden lässt, wird es zudem arg trivial: Kast plädiert für ein Innehalten und die Besinnung auf nichtmaterielle Bedürfnisse.

Doch sind die Aussagen wirklich so zu verallgemeinern, wie Kast meint? Ein wenig vernachlässigt er diejenigen, die überhaupt nicht die finanziellen Möglichkeiten haben, von der multioptionalen Gesellschaft zu profitieren. Und davon gibt es immer mehr! Dennoch ist dieses Buch ein unterhaltsamer Einwurf zu der Frage, warum wir es uns oft so unnötig schwer machen.

  • Quellen
Gehirn&Geist 7/2012

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