Man glaubt seinen Augen kaum
Thomas Ditzinger veröffentlichte schon zehn populärwissenschaftliche Bücher und kletterte die Bestsellerliste in Deutschland dabei mit zwei Werken bis zum Spitzenplatz. Nun verspricht der Autor wieder jede Menge Spaß und eine fantastische, faszinierende, wunderbare Welt – und er hält sein Wort. Dem promovierten theoretischen Physiker haben es bereits früh Wahrnehmungsphänomene wie das Erkennen mehrdeutiger Bilder angetan. In seinem neuen Buch "Illusionen des Sehens" verblüfft er ebenfalls bereits früh – noch bevor der Text anfängt – mit dem Sonnenstern des Lesers Sinne und macht uns neugierig auf das, was noch kommen wird.
Der Autor lädt uns auf eine Busfahrt ein, und wir folgen gerne – obwohl man ja oft glaubt, man kenne schon vieles von dem, was Ditzinger uns vorstellt. Doch lassen Sie sich überraschen: Gut strukturiert stellt der "Busfahrer" zuerst die Gesetze des Sehens vor (etwa den blinden Fleck auf der Netzhaut, an dem sich keine Lichtrezeptoren befinden), gefolgt eine Vorstellung der geometrisch-optischen Täuschungen. Viele hat man vielleicht schon an anderer Stelle bereits gesehen, doch den Längen- und Kipptäuschungen wird hier fundiert nachgegangen und durch viele neue Fotos die Täuschungseffekte belegt.
Die zweite "Busreise" geht in den Bereich der Wahrnehmung von Formen und Helligkeiten. Auch hier ist es sofort überraschend, wie unsere Wahrnehmung "betrogen" werden kann. Die "Autobahnbrücke" und die "Asphaltbilder" beispielsweise in Kapitel 3.3 waren mir völlig neu! Hier wird mit Helligkeitsunterschieden gespielt, die zum Beispiel einen rein weißen Balken je nach hintergründigem Kontrast mal heller und mal erscheinen lassen – obwohl er immer einheitlich weiß ist. Das Herrmann'sche Gitter (das Auftreten dunkler Flimmerpunkte an den Kreuzungspunkten eines weißen Gitternetzes über schwarzem Hintergund) zählt dagegen zu den "klassischen" Täuschungen, doch die Variante auf Seite 59 ist wirklich gut gelungen.
Der Autobus nähert sich anschließend langsam dem Höhepunkt: Im vierten Kapitel werden die "mehrdeutigen Wahrnehmungen" behandelt. Auch hier versteht es der Autor, alte und bekannte Täuschungen mit "Neuem" zu vermischen. Das junge Mädchen oder die Schwiegermutter in einem Bild hat sicher jeder Leser schon oftmals gesehen – doch bringt Ditzinger nun überraschend ein Bild aus dem Jahre 1888, das vielleicht das Original dazu war.
Kontextbezogene Täuschungen werden auf Seite 82 vorgestellt und ebenfalls gut erklärt. So ist die Prägung der Voreingenommenheit oder das Vorwissen ein Schlüssel zum Verständnis. Herrlich ist unter anderem das Bild der "Schlafende Frau" (Ixtaccihuatl) in Mexiko: ein Vulkan, dessen Gestalt an eine liegende Dame gemahnt. Und sehr zur Freude der Mitfahrer ist Arcimboldos Gemälde natürlich auch in diesem Buch – jenes aus Feldfrüchten gemalte Antlitz einer Frau. Robert Fischers "Ein neuer Tag" (Bild 4.29) schließlich erscheint ebenfalls einer längeren Beobachtung wert: Erst der kleine Hinweis im Text macht das Bild doppeldeutig – aber auf eine sehr schöne Art.
Jetzt folgt ein Kapitel über unser Sehen von Helligkeiten – und wie schwach wir wirklich dabei sind. Der Autor klärt uns dabei über die Funktionsweise der Zäpfchen und Stäbchen im Auge auf. Die Entstehungsgeschichte des "doppelten" Regenbogens wird erklärt, doch leider fehlt hier eine hübsche Aufnahme. Wie vielleicht auch der Hinweis, dass zwei Personen zwei verschiedene Regenbogen sehen, da die Brechung ja für jeden Platz eine andere ist !
Sehr bekannt sind die Farbmuster (Seite 122), die zur Erkennung von Sehschwächen dienen. Doch werden jetzt die "alten Beispiele" immer seltener. Der Watercolor-Effekt ist einfach unglaublich: Geringe Unterschiede in den Kantenfarben und -helligkeiten erzeugen völlig unterschiedliche Bilder. Dieser Effekt kommt nur bei ganz bestimmten Kombinationen von Farbe, Helligkeit und Hintergrund zustande.
Schließlich begibt sich der Bus in den Bereich des räumlichen Sehens. Der Stereoblick wird vorgestellt, und nach kurzer Zeit ist man ganz hingerissen von den beiden Bildern, die im Kopf zu einem dreidimensionalen Bild werden. Die klassische rot-grün Brille ist nicht mehr nötig. Geradezu unglaublich wird der Text mit den letzten Kapiteln (ab Seite 226): Die Bewegungstäuschungen durch Kitakao und Pinna-Brelstaff sind sehr modern – und noch nicht sehr verbreitet.
Sehr interessant sind die Schlussgedanken des Autors, der unsere asymmetrische Kommunikationsstrukturen betrachtet. Wir sprechen (und so entstehen akustische Schallwellen), doch wir empfangen über den Seh-, Hör- und Tastsinn. Zudem verwendet der Mensch keine elektromagnetische Strahlung – warum? Mit dieser Frage entlässt uns der Busfahrer.
Viele neue Eindrücke und Effekte haben wir bis zu diesem Zeitpunkt kennengelernt. Ein Buch, das ich mit Freude vielen meiner Freunde unter den Weihnachtsbaum legen werde.
Der Autor lädt uns auf eine Busfahrt ein, und wir folgen gerne – obwohl man ja oft glaubt, man kenne schon vieles von dem, was Ditzinger uns vorstellt. Doch lassen Sie sich überraschen: Gut strukturiert stellt der "Busfahrer" zuerst die Gesetze des Sehens vor (etwa den blinden Fleck auf der Netzhaut, an dem sich keine Lichtrezeptoren befinden), gefolgt eine Vorstellung der geometrisch-optischen Täuschungen. Viele hat man vielleicht schon an anderer Stelle bereits gesehen, doch den Längen- und Kipptäuschungen wird hier fundiert nachgegangen und durch viele neue Fotos die Täuschungseffekte belegt.
Die zweite "Busreise" geht in den Bereich der Wahrnehmung von Formen und Helligkeiten. Auch hier ist es sofort überraschend, wie unsere Wahrnehmung "betrogen" werden kann. Die "Autobahnbrücke" und die "Asphaltbilder" beispielsweise in Kapitel 3.3 waren mir völlig neu! Hier wird mit Helligkeitsunterschieden gespielt, die zum Beispiel einen rein weißen Balken je nach hintergründigem Kontrast mal heller und mal erscheinen lassen – obwohl er immer einheitlich weiß ist. Das Herrmann'sche Gitter (das Auftreten dunkler Flimmerpunkte an den Kreuzungspunkten eines weißen Gitternetzes über schwarzem Hintergund) zählt dagegen zu den "klassischen" Täuschungen, doch die Variante auf Seite 59 ist wirklich gut gelungen.
Der Autobus nähert sich anschließend langsam dem Höhepunkt: Im vierten Kapitel werden die "mehrdeutigen Wahrnehmungen" behandelt. Auch hier versteht es der Autor, alte und bekannte Täuschungen mit "Neuem" zu vermischen. Das junge Mädchen oder die Schwiegermutter in einem Bild hat sicher jeder Leser schon oftmals gesehen – doch bringt Ditzinger nun überraschend ein Bild aus dem Jahre 1888, das vielleicht das Original dazu war.
Kontextbezogene Täuschungen werden auf Seite 82 vorgestellt und ebenfalls gut erklärt. So ist die Prägung der Voreingenommenheit oder das Vorwissen ein Schlüssel zum Verständnis. Herrlich ist unter anderem das Bild der "Schlafende Frau" (Ixtaccihuatl) in Mexiko: ein Vulkan, dessen Gestalt an eine liegende Dame gemahnt. Und sehr zur Freude der Mitfahrer ist Arcimboldos Gemälde natürlich auch in diesem Buch – jenes aus Feldfrüchten gemalte Antlitz einer Frau. Robert Fischers "Ein neuer Tag" (Bild 4.29) schließlich erscheint ebenfalls einer längeren Beobachtung wert: Erst der kleine Hinweis im Text macht das Bild doppeldeutig – aber auf eine sehr schöne Art.
Jetzt folgt ein Kapitel über unser Sehen von Helligkeiten – und wie schwach wir wirklich dabei sind. Der Autor klärt uns dabei über die Funktionsweise der Zäpfchen und Stäbchen im Auge auf. Die Entstehungsgeschichte des "doppelten" Regenbogens wird erklärt, doch leider fehlt hier eine hübsche Aufnahme. Wie vielleicht auch der Hinweis, dass zwei Personen zwei verschiedene Regenbogen sehen, da die Brechung ja für jeden Platz eine andere ist !
Sehr bekannt sind die Farbmuster (Seite 122), die zur Erkennung von Sehschwächen dienen. Doch werden jetzt die "alten Beispiele" immer seltener. Der Watercolor-Effekt ist einfach unglaublich: Geringe Unterschiede in den Kantenfarben und -helligkeiten erzeugen völlig unterschiedliche Bilder. Dieser Effekt kommt nur bei ganz bestimmten Kombinationen von Farbe, Helligkeit und Hintergrund zustande.
Schließlich begibt sich der Bus in den Bereich des räumlichen Sehens. Der Stereoblick wird vorgestellt, und nach kurzer Zeit ist man ganz hingerissen von den beiden Bildern, die im Kopf zu einem dreidimensionalen Bild werden. Die klassische rot-grün Brille ist nicht mehr nötig. Geradezu unglaublich wird der Text mit den letzten Kapiteln (ab Seite 226): Die Bewegungstäuschungen durch Kitakao und Pinna-Brelstaff sind sehr modern – und noch nicht sehr verbreitet.
Sehr interessant sind die Schlussgedanken des Autors, der unsere asymmetrische Kommunikationsstrukturen betrachtet. Wir sprechen (und so entstehen akustische Schallwellen), doch wir empfangen über den Seh-, Hör- und Tastsinn. Zudem verwendet der Mensch keine elektromagnetische Strahlung – warum? Mit dieser Frage entlässt uns der Busfahrer.
Viele neue Eindrücke und Effekte haben wir bis zu diesem Zeitpunkt kennengelernt. Ein Buch, das ich mit Freude vielen meiner Freunde unter den Weihnachtsbaum legen werde.
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