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Was ist Interdisziplinarität?

Kaum ein Begriff wird in der Wissenschaft so häufig bemüht wie "Interdisziplinarität ". Wer interdisziplinär arbeitet, befasst sich auf besonders ambitionierte und kompetente Weise mit einem komplexen Thema – so scheint es. In Wirklichkeit verwenden viele Leute das Schlagwort, um Forschungsgegenstände oder ganze Forschungsfelder diffus aufzuwerten, ohne sich um eine klare Definition des Begriffs oder des komplementären Ausdrucks "Disziplinarität" Gedanken zu machen.

"Fehlende Klärung dessen, was unter Interdisziplinarität zu verstehen ist, behindert den Prozess wissenschaftlicher Forschung: angefangen von trivialen Missverständnissen … über massive Konflikte in Forschungsgruppen bis hin zum Scheitern ganzer Sonderforschungsbereiche ", schreiben die Herausgeber im Vorwort und sehen ihre eigene Disziplin gefordert, die Wissenschaftsphilosophie. Zur Abhilfe bringen sie einen sehr breit und informativ angelegten Überblick mit Beiträgen zahlreicher Autoren.

Multidisziplinarität, das bloße Nebeneinander wissenschaftlicher Disziplinen, ist von der Interdisziplinarität, dem echten Miteinander, abzugrenzen. Führt die Zusammenarbeit womöglich dazu, dass disziplinäre Grenzen aufweichen oder gar die Forschenden sich der Gesellschaft öffnen, sollte von Transdisziplinarität die Rede sein. Sehr klar wird in diesem Zusammenhang in verschiedenen Beiträgen, dass Interdisziplinarität nicht ohne Kompetenz in zumindest einem der Fachgebiete zu haben ist.

Nach diesem theoretischen ersten Teil geht es um die Praxis. Interdisziplinäre Arbeit findet nicht schon dann statt, wenn man bloß mit ihr sympathisiert. Sie ist vielmehr ein mühseliges, zeitaufwändiges und oft abschreckendes Geschäft. Und es gibt auch schlechte Beispiele, wie Winfried Löffler vom Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck ausführt: das »Nice-to-Know«-Verfahren, bei dem man unter einem mehrdeutigen Überbegriff alles Mögliche zusammenfasst, was nicht zusammengehört, oder die "feindliche Übernahme" einer Wissenschaft durch eine andere.

Alle Schwierigkeiten und Anstrengungen, die das Projekt Interdisziplinarität mit sich bringt, werden jedoch gerechtfertigt durch eine entscheidende Einsicht: Zahlreiche Forschungsgegenstände sind so komplex, dass sie innerhalb einer Disziplin nicht erschöpfend angegangen werden können. Interdisziplinarität ist also unerlässlich.

Wer an interdisziplinärer Arbeit interessiert oder womöglich schon längst in sie verwickelt ist, findet in dem Band eine Fülle von interessanten Denkanstößen, die auch die eigene Arbeit kritisch zu beleuchten helfen. Sowohl die inhaltliche als auch die formale Gestaltung der Texte hätte etwas systematischer angelegt sein können. Das ist bei einem Sammelband stets schwierig; und auf den zweiten Blick nimmt man diese Unvollkommenheit wohlwollend zur Kenntnis, belegt sie doch die interdisziplinäre Toleranz, die für den Austausch – auch über ganze Wissenschaftstraditionen hinweg – unentbehrlich ist.

Gleichwohl empfehle ich das Buch ohne Einschränkungen. Es ist ein großes Verdienst der Herausgeber, dieses Thema einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht zu haben.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2011

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