Das Gehirn geht nicht in Rente
Altern sei gleichbedeutend mit körperlichem und geistigem Verfall – so das gängige Vorurteil. Damit räumt Martin Korte, Professor für Neurobiologie an der TU Braunschweig, gründlich auf. Für ihn sind das mittlere und höhere Alter und die damit einhergehenden Veränderungen im Denkorgan vielmehr natürliche menschliche Entwicklungsphasen – mit typischen Eigenheiten und Schwächen, aber auch besonderen Stärken.
Zu den Schwächen zählt sicherlich das schwindende Erinnerungsvermögen: Dass das geistige Zentrum im Oberstübchen "nicht mehr so will", machen Senioren meist an ihrer zunehmenden Vergesslichkeit fest. Gerade die Gedächtniseinbußen erscheinen besonders dramatisch, zumal wenn der Betroffene damit nicht nur seine Geschichte zu verlieren droht, sondern im Extremfall auch lebenswichtige Alltagsfertigkeiten. Als Gedächtnisforscher will Korte diese Altersschwäche nicht wegdiskutieren. Doch er erklärt: "Das Gedächtnis gibt es nicht." Vielmehr gebe es verschiedene Gedächtnissysteme mit unterschiedlichen Aufgaben, und natürlich machten nicht alle gleichzeitig schlapp. Die Tatsache etwa, dass wir die meisten Erinnerungen aus der Lebensphase zwischen 20 und 30 Jahren haben, liege weniger an den Gedächtniseinbußen als daran, dass wir vor allem als junge Menschen Neues erleben.
Andererseits verzeichnen ältere Menschen laut Korte aber auch einen ordentlichen Zuwachs. So nehme die emotionale Intelligenz mit den Jahren meist zu und helfe etwa beim Lösen von Konflikten. Weisheit verbinden wir nicht zufällig mit dem Alter: Laut Korte bedürfen weise Entscheidungen einer Menge Fakten- und Strategiewissen sowie vieler Erfahrungen. Und davon haben Ältere in der Regel eben mehr gesammelt als jugendliche Schnelldenker.
Wichtig sei auch, die Fähigkeiten des in die Jahre gekommenen Gehirns zu pflegen und zu trainieren. Erfreulicherweise geht Korte hier über die üblichen Ausführungen zu den Wohltaten des Denksports hinaus. Seinen Lesern empfiehlt er vielmehr alltagsbezogenes Training sowie Strategien, um beispielsweise mit der zunehmenden Vergesslichkeit umzugehen: Eselsbrücken, feste Plätze für Schlüssel und Brille sowie kleine Rituale, um sich wichtige Termine besser zu merken. Daneben vergisst er nicht, ausführlich über den Nutzen von Sport und gesunder Ernährung zu informieren.
Das alles untermauert der Autor mit Studien sowie gut aufbereitetem Grundlagenwissen, und er kommt dabei weder detailverliebt noch langweilig daher. Trotz aller Begeisterung für das alternde Denkorgan spart er den krankheitsbedingten Verfall nicht aus. Fazit: ein rundum empfehlenswertes Buch!
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