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Der Mensch Gagarin

Die nicht gerade üppige deutschsprachige Literatur über Juri Gagarin ist jetzt um ein Buch reicher. Rechtzeitig zum 50. Jahrestag des historischen Raumflugs des russischen Bauernsohns vom 12. April 1961 hat der Berliner Verlag Neues Leben das Buch "Juri Gagarin – Das Leben" von Ludmila Pavlova-Marinsky herausgebracht. In ihrer "Vorbemerkung" betont die Autorin ausdrücklich, ihr Werk wolle "keine Fakten aneinanderreihende Lebenschronik des ersten Kosmonauten" sein. Diese sei bereits "mehrfach" geschrieben. Vielmehr wolle sie dem Leser vor Augen führen, "was für ein Mensch Gagarin war, wie er sich als Freund, Ehemann, Vater und Zeitgenosse" verhalten und was ihn umgetrieben habe, welche Widerstände er zu überwinden hatte und welchen Eindruck er auf jene gemacht habe, die seinen Weg begleiteten.

Das macht sehr neugierig. Denn Pavlova- Marinsky kann dabei aus ihren persönlichen Erfahrungen schöpfen, die sie, wenn auch noch als Kind und Teenager, gesammelt hat. Die Diplom-Journalistin, die seit den 1990er Jahren in Deutschland lebt und arbeitet, ist nämlich die Tochter des besten Freundes von Gagarin, des ehemaligen Chefs des kommunistischen Jugendverbands Komsomol, Sergej Pawlow. Sie gehörte damit der so genannten Nomenklatura an und wuchs seit ihrem sechsten Lebensjahr gemeinsam mit den Gagarin-Kindern Jelena und Galina auf.

Die Gagarins und Pawlows haben nicht nur zu Hause alle Familienfeste zusammen gefeiert, sondern ihre Wochenenden auch oft in der vom KGB verwanzten Regierungsdatscha vor den Toren Moskaus und ihre Urlaube in Regierungserholungsheimen auf der Krim verbracht. Leider wird Pavlova-Marinsky ihrem sehr hochgesteckten eigenen Anspruch nicht ganz gerecht. Rund die Hälfte ihres Buchs ist schließlich doch eine Aneinanderreihung der Lebens- und Raumfahrerchronik Gagarins. Dabei konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass ihr der Verlag hier und da auch Wikipedia- Weisheiten in den Text hineinredigiert hat.

Dennoch kommt der Leser und Gagarin- Kenner durchaus auf seine Kosten. Aus erster Hand erfährt er viel Neues sowohl über den Privatmann, liebenden Vater und Ehegatten als auch über den Offizier, Kosmonauten und Parlamentsabgeordneten Gagarin, der bei aller "Linientreue" doch weit mehr war als ein lammfrommer Befehlsempfänger.

So beschreibt Pavlova-Marinsky, die inzwischen einen deutschen Pass hat, wie sich ihr Onkel Juri schriftlich bei Parteiund Regierungschef Leonid Breshnew beschwerte, dass die Raumfahrt nach der Absetzung Nikita Chruschtschows 1964 sträflich vernachlässigt wurde, wie er 1966 den Flug des neuen, noch nicht ausgereiften Raumschiffes "Sojus 1" verhindern wollte, der dann mit dem tragischen Tod Wladimir Komarows endete, und wie er gegen sinnlose Propaganda-Auftritte der Kosmonauten protestierte, die irgendwelchen Provinzfürsten nur als Anlass zur Selbstbeweihräucherung und für Saufgelage dienten. Solche Interventionen erforderten unter den damaligen Verhältnissen viel Mut.

Daneben erfahren wir, wie Gagarin sich bei seinen vielen Auslandsreisen als "bester Diplomat" seines Landes erweist, wie er mit Hilfe seines Freundes Pawlow Wasserski vom elitären Freizeitvergnügen zum Massensport machte und welche neuen Erkenntnisse es zur bis dato ungeklärten Ursache seines Flugzeugabsturzes am 27. März 1968 gibt.

Über das nicht einfache Schicksal der Familie nach dem frühen Tod Gagarins erfährt man in diesem Buch zwar eine Menge neuer Details, der Leser hätte sich aber sicher noch viel mehr gewünscht. Hier stieß die Autorin wohl an subjektive und objektive Grenzen. Zum einen wollte sie als Quasimitglied der Familie, der sie nach wie vor eng verbunden ist, nicht zu viele Interna preisgeben. Und zum anderen wollte sie nicht jenen Vorschub leisten, die den guten Namen Gagarins heute zu missbrauchen suchen.

Nicht umsonst hat Gagarins jüngste Tochter Galina (sie wird Anfang März 50 Jahre alt), eine promovierte Ökonomin und Akademie-Dozentin, Ende Januar beim Patentamt den Antrag gestellt, den Namen gesetzlich zu schützen. Und Gagarins Witwe Walentina, die seit bald 43 Jahren völlig zurückgezogen im "Sternenstädtchen" bei Moskau lebt, hat nur einen Wunsch, wie am Ende des Buchs zu lesen ist: Sie will endlich wissen, wie ihr Mann ums Leben gekommen ist. Darauf eine Antwort zu geben, ist denn auch der Appell von Pavlova-Marinsky an die russische Führung.
  • Quellen
Sterne und Weltraum 4/2011

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