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Zu schön, um nützlich zu sein

Dass manche Vogelgesänge "schöner als nötig" sind, darauf haben neben Charles Darwin auch schon die Altmeis- ter der Verhaltensforschung Julian Huxley (1887 – 1975) und Konrad Lorenz (1903 – 1989) hingewiesen. Zur Revierverteidigung oder zur Anlockung eines Sexualpartners ist jedenfalls das anspruchslose Getschilpe eines Haussperlings ebenso gut geeignet wie der komplexe Nachtigallenschlag. Offenbar lassen sich derartige Qualitätsunterschiede über die Funktion allein nicht hinreichend erklären.

Der begeisterte Amateurornithologe und Buchautor (Spektrum der Wissenschaft 2/2005, S. 97) Walther Streffer möchte daher den "musikalischen Gesichtspunkt" beim Studium des Vogelgesangs wieder stärker in den Vordergrund rücken – selbst auf die Gefahr hin, als unwissenschaftlich zu gelten. Seine Hypothese lautet: Es gibt einen Zusammenhang zwischen "Gesangsbegabung " und "territorialem Verhalten". Die Qualität von Reviergesängen variiert nämlich je nach Situation und Stimmung des Sängers. Streffer schlägt daher vor, den Reviergesang in drei Typen zu unterteilen: "erregter Kampfgesang", "entspannter Motivgesang " und "sphärischer Gesang".

Der weitaus größte Teil aller Gesangsaktivitäten entspricht dem "entspannten Motivgesang ". Von diesem Normalniveau kann der Vogel abweichen: nach unten bis hin zum Gesangsduell an der Reviergrenze, nach oben, indem die begabtesten Sänger ihr Repertoire quasi in spielerischer Freiheit ausreizen und erweitern. Paradoxerweise, so Streffer, ist Vogelgesang gerade dann am schönsten, wenn er der biologischen Funktion, für die er entwickelt wurde, geradezu "sphärisch" enthoben ist. Trotz seines blumigen Titels und manch vormodern anmutender Formulierung weiß Streffer sehr genau zwischen der subjektiven Seelenlage des menschlichen Beobachters und den objektiven biologischen Tatbeständen zu unterscheiden. Ihm geht es allein um die wissenschaftliche Plausibilität seiner schönen Hypothese. Ob sie zu schön ist, um wahr zu sein, wird die Zukunft erweisen.

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  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 11/2010

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