Schlachtfeld der Metaphern
Stress kennt jeder. Verkehrslärm, Leistungsdruck und Konkurrenz bringen unser Gehirn in einen Zustand, in dem es einen ähnlichen Cocktail von Botenstoffen ausschüttet wie das eines Soldaten im Kampfeinsatz. Dem Physiker und psychotherapeutisch tätigen Heilpraktiker und NLP-Trainer Frank Henning gefällt dieser Vergleich, er nimmt sogar an, dass ein Großteil unserer Stressgefühle überhaupt nur durch kriegerische Aspekte unseres Alltagslebens zu Stande kommt. Bei ihm wird das Gehirn zum Kommandanten, die Zeit zum Feind und das morgendliche Weckerklingeln zur Kampfansage. Die fast zwangsläufige Folge: "Krieg im Gehirn".
Der Autor lässt in den ersten Kapiteln kaum eine Gelegenheit aus, diese Metapher an den Mann zu bringen. Er findet sie in unserer gesamten Umwelt, in unserem Arbeits-, Ess- und Sozialverhalten, und er skizziert mit Schlagwörtern wie "Schlachtfeld", "Rettung" und "Invalide" ein Gesellschaftssystem, das im permanenten Kriegszustand zu stecken scheint.
Wer vor der Lektüre nicht gestresst war, wird es danach gewiss sein. Der Leser wird zunehmend in eine Habt-Acht-Stellung gedrängt, und selbst den Abstecher ins Wellnesshotel deutet der Psychotherapeut als ein Wiederfitmachen für den Alltagskampf.
Ein roter Faden findet sich nicht in dieser Aneinanderreihung von Worst-Case-Szenarien. Während Henning nach den organischen Ursachen von Alltagsstress fahndet, gönnt er dem Leser immerhin eine Auszeit von der Kriegsmetapher und somit erstmals die Gelegenheit, auch Inhalte mitzunehmen.
Es folgen Einblicke in Hirnphysiologie und Verhaltensmodelle und schließlich die Erkenntnis: Wir sollten uns auf uns besinnen und unser geistiges und körperliches Selbst wieder miteinander in Einklang bringen. Es helfe nicht, die Gesellschaft verändern zu wollen. "Wir müssen bei uns selbst beginnen."
Für den Transfer in die Praxis legt Henning seinen Lesern "heilsame Rituale" ans Herz. Man solle Gedichte rezitieren, die Natur und die Kunst genießen oder hin und wieder "ein Essen zelebrieren". Ungewöhnlich weiche Antworten also auf die harten Geschosse, die er aufgefahren hat. Und dann folgt ein – in Anbetracht seiner Metaphern – ironischer Tipp: Man solle doch aufhören, sich sprachlich permanent in den Kriegszustand zu versetzen! Um sich vor der düsteren Schlachtfeldrhetorik zu schützen, hätte der Leser allerdings besser zu einem besinnlichen Gedichtband gegriffen oder einen Spaziergang in der Natur unternommen.
Schreiben Sie uns!
2 Beiträge anzeigen