Lektionen über das Gehirn
Neuro ist Trend: Das Thema Hirnforschung fasziniert seit Jahren. Zahlreiche Filme und Bücher sind bereits darüber erschienen. Doch das Seminar "Unser Gehirn" der ZEIT Akademie sticht deutlich heraus. Es vereint Video-Vorlesung und vertiefende Interviews (auf insgesamt 4 DVDs) mit einem Begleitband; eine überraschend unterhaltsame Kombination.
In zehn DVD-Lektionen von jeweils etwa 15 Minuten Dauer führt Onur Güntürkün in die Welt der Neuropsychologie ein. Der Professor für Biopsychologie an der Ruhr-Universität Bochum liefert Basiswissen aus verschiedenen Bereichen seines Fachgebiets, etwa der Lern-, Wahrnehmungs- und Emotionspsychologie.
Zunächst erklärt Güntürkün den Aufbau und die Funktionsweise des Gehirns, von A wie Axon bis Z wie Zerebellum. Anschließend lässt er seine Zuschauer einer optischen Täuschung erliegen und beschreibt anhand dieses Tricks die Arbeitsweise unseres Wahrnehmungsapparats. Dann widmet er sich den Mechanismen des Lernens, des Wissenserhalts und des Vergessens. Dabei erklärt der Forscher, was man unter Intelligenz versteht, was der Intelligenzquotient aussagt und welche kognitiven Unterschiede es zwischen den Geschlechtern gibt. Zudem umreißt er, wie Gefühle im Kortex entstehen und welchen evolutionären "Sinn" sie haben. Auch die funktionale Asymmetrie der Hirnhälften ist ein Thema.
Blick in den Kopf
Güntürkün scheut nicht davor zurück, Grenzfragen seines Fachs anzusprechen. Unter anderem erörtert er, ob und wie Hirnforscher tatsächlich Gedanken lesen können und wo die hierfür verwendete Technik an ihre Grenzen stößt. Mehrmals geht er auf Phänomene des Alterns oder auf besondere neurologische Krankheiten ein.
Auf jede Lektion folgt ein kurzes Interview, in dem der Zeit-Redakteur Ulrich Schnabel den Neurowissenschaftler befragt. Diese jeweils etwa zehnminütigen Gespräche vertiefen den Stoff. Schnabel spielt dabei die Rolle des interessierten Zuschauers, der wissen möchte, wie sich die Forschungsergebnisse auf den Alltag übertragen lassen. So fragt er, ob Männer aufgrund ihrer besseren Fähigkeit zu mentalen Rotationen, also dem Drehen eines Bildes in der Vorstellung, tatsächlich besser einparken können als Frauen (was Güntürkün bejaht). In einem halbstündigen Zusatzinterview treffen sich die beiden schließlich im Berliner Wissenschaftskolleg und sprechen über aktuelle Forschungsarbeiten Güntürküns sowie über die künftige Entwicklung der Neurowissenschaften.
Der Begleitband fasst die wichtigsten Fakten aus den Lektionen zusammen. Als pdf-Datei lässt er sich, ebenso wie die Videos, auf der Website der ZEIT Akademie aufrufen. Den hierzu erforderlichen Online-Zugang erhält man zusammen mit Buch und DVDs (Komplettpreis € 129,00), man kann ihn aber auch gesondert erwerben (€ 99,00).
Perspektivwechsel
Obgleich die Gefahr besteht, dass die überbordende Informationsfülle des Seminars selbst wissbegierige Zuschauer überfordert, schafft es Güntürkün mit seinem klar strukturierten Vortrag, die Spannung aufrechtzuerhalten. Mit vielen bildhaften Beispielen, ergänzenden Videoclips und Grafiken gestaltet er die Lektionen anschaulich und abwechslungsreich. Die anschließenden Interviews lassen die Perspektive auf wohltuende Weise wechseln: Nun findet sich der Dozent in der Rolle des Befragten wieder und muss spontan antworten. Das meistert Güntürkün mit Bravour.
Das Seminar versteht sich als Weiterbildungsangebot, möchte nach eigenen Angaben die "intellektuelle Neugier" der Zuschauer befriedigen und diese zugleich unterhalten. Neuropsychologen und Hirnforscher gehören allerdings nicht zur Zielgruppe: Ihnen bieten die Lektionen wenig Neues, und manches darin wird ihnen verkürzt oder unkritisch vorkommen. Themen wie den Intelligenzquotienten oder kognitive Geschlechtsunterschiede kontrovers zu diskutieren, gehört erkennbar nicht zum Konzept des Seminars.
Wer sich dagegen als Laie für Hirnforschung interessiert, kann mithilfe der Lektionen seine Kenntnisse ausbauen. Man sollte aber schon etwas Vorwissen sowie eine schnelle Auffassungsgabe mitbringen, denn nicht alle Fremdwörter werden erklärt und das Vorgetragene selten wiederholt. Für geneigte Nichtfachleute ist das Seminar durchaus spannend und aufschlussreich – sein Preis allerdings stolz.
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