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Impfstoff für die Psyche

Optimisten gewinnen häufiger Wah­len oder sportliche Wettkämpfe und meistern auch Trennungen oder Kündigungen besser als Pessimisten. Eine optimistische Einstellung preist der Psychiater Luis Rojas Marcos von der New York University deshalb als wirksamsten Impfstoff für die Psyche. Um diese These zu belegen, zitiert er klassische Befunde etwa zur erlernten Hilflosigkeit: Wer wiederholt erlebt, dass sein Tun zwecklos ist, wirft auch in anderen Lebensbereichen rasch die Flinte ins Korn.

Außerdem kennzeichnen unterschiedliche Denkstile die typischen Optimisten und Pessimisten. Während Erstere an­nehmen, dass sie Erfolge vor allem ihren eigenen Fähigkeiten zu verdanken haben, glauben Letztere, an jedem Misserfolg selbst schuld zu sein.

Neu sind diese Erkenntnisse nicht. Allerdings vermag der Autor sie zumindest unterhaltsam vorzutragen, indem er Anekdoten aus seinem Leben sowie Zitate aus Romanen und Mythen einstreut. Unterm Strich hätte dem Buch jedoch weniger Pathos gutgetan. So schildert der Arzt die Begegnung mit einem querschnittsgelähmten Patienten mit den Worten: "Wortlos legte ich ihm die Hand auf die Schulter und sah ihm tief in die Augen. Ich suchte nach einem Zeichen, das meine Skepsis hätte rechtfertigen können. Doch das einzig Auffällige war der Optimismus, der in Roberts Blick glänzte."

Dass zudem nur wenige Studien aus den vergangenen zehn Jahren auftauchen, mag man noch entschuldigen, da das Buch bereits 2005 auf Spanisch erschien. Ärgerlich ist jedoch, dass Marcos Resultate aus den 1980er Jahren als neu verkauft, indem er ihr Publikationsdatum verschweigt.

Neben Altbekanntem führt der Autor noch so einige abwegige Kronzeugen für die Macht des Optimismus an, darunter die pawlowschen Hunde, den Rohrschachtest und dann auch noch die Re­lativitätstheorie. Laut Marcos sollen sie belegen, dass alles eine Frage der Perspektive ist. Ähnlich fragwürdig spekuliert er in einem historischen Abriss darüber, dass schon unter unseren Vorfahren eine hoffnungsvolle Einstellung geherrscht haben müsse. Ohne diesen inneren Antrieb hätten unsere Vorfahren schließlich niemals beharrlich nach Essbarem gesucht und ausdauernd gegen Feinde gekämpft.

Wer wissenschaftlich fundierte, neue Erkenntnisse sucht, wird in diesem Buch nicht fündig. Durchaus lesenswert sind jedoch Marcos’ eigene Erfahrungen mit schwer kranken Patienten und der Heilkraft des Optimismus im Krankenhausalltag. So beschreibt der Mediziner die Kraft von Placebos und kritisiert Kollegen, die Patienten aus falscher Wahrheitsliebe ihre Heilungschancen lieber ganz verschweigen. Marcos ist vermutlich ein guter und einfühlsamer Arzt, als Wissenschaftsautor überzeugt er jedoch nicht.

  • Quellen
Gehirn & Geist 1–2/2012

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