Wissenschaftliche Mitarbeiter im Fell
Sie gelten als dreckig, aggressiv und ekelhaft; man fürchtet sich vor den gefährlichen Krankheiten, die sie übertragen, und beklagt die Lebensmittelvorräte, die sie vernichten: Ratten genießen wahrlich keinen guten Ruf. Nicht umsonst bezeichnen wir eine billige Absteige als "Rattenloch", und unangenehme Dinge ziehen meist einen "Rattenschwanz" nach sich.
Auch Tierversuche gelten als abstoßende Sache, mit der man am liebsten nichts zu tun haben möchte. Die bloße Erwähnung dieses Worts beschwört bei manchem Zeitgenossen Bilder von geschundenen Kreaturen herauf, die von sadistischen Männern in weißen Kitteln grundlos gequält werden. Kelly Lambert sieht beides anders. Mit ihrem Buch "Lehrmeister Ratte" möchte die Psychologin, die am Randolph-Macon College in Ashland (USA) forscht, eine Lanze für die ungeliebten Nager brechen – und auch, wenngleich eher nebenbei, für Tierversuche. Denn eigentlich geht es ihr nicht um Ratten, sondern um Menschen. Wie die Autorin in mehr als 25 Jahren Forschungsarbeit an Laborratten herausfand, können uns Versuchstiere eine ganze Menge über Homo sapiens verraten.
Biomedizinische Forschung ohne Nagetiere ist heute kaum vorstellbar. Zirka einmal pro Stunde erscheint eine wissenschaftliche Publikation, die sich auf Versuche an Ratten bezieht. Mit einer Prise Humor gewürzt, erklärt Lambert die umfangreichen Erkenntnisse aus solchen Experimenten. Die Tierstudien verraten uns etwa, dass eine anspruchsvolle Beschäftigung die Intelligenz und die Widerstandskraft gegenüber Stress fördert. Sie lehren uns, wie wichtig soziale Kontakte, gesunde Ernährung und umfassende Körperhygiene (Ratten pflegen ein hocheffektives Putzritual) für das allgemeine Wohlbefinden sind. Sie mahnen uns vor grundloser Aggressivität. Und sie zeigen, dass regelmäßige Bewegung das Hirnwachstum fördert.
Der gesunde Menschenverstand sollte eigentlich zu ähnlichen Erkenntnissen kommen. Doch ein Blick auf die destruktive Lebensweise vieler Mitmenschen unterstreicht, wie wichtig entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse sind, die ohne "Lehrmeister Ratte" nicht möglich wären. So liefert Lambert einen beeindruckenden Überblick über die Arbeitsmethoden biologisch-psychologischer Forschung. Doch vor allem eines spürt der Leser durchgehend: ihre tiefe Ehrfurcht vor den erfolgreichsten Säugetieren der Welt.
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