Neuronales Recycling
tRoTz dEr unGewOhnten sChReIbWeIsE KÖnNeN SiE DIeSEn SATz vERmutLich RElAtiV mÜHelos vERstehen. Unser Gehirn ist äußerst flexibel hinsichtlich der vielen Gestalten, in denen uns Buchstaben und Wörter zu Gesicht kommen.
In seinem fundierten und erstaunlich flüssig geschriebenen Sachbuch lässt Stanislas Dehaene seine Leser immer wieder über die Wunder des Lesens staunen, die ihnen normalerweise gar nicht bewusst werden. Akribisch und mit zahlreichen empirischen Belegen zeichnet der französische Kognitionswissenschaftler vom Collège de France in Paris den komplizierten Weg nach, den das Geschriebene in unserem Oberstübchen einschlägt.
Scheinbar unmittelbar und auf einen Schlag erfassen wir Wörter und deren Sinn. Doch in Wahrheit zerlegt erst einmal die Netzhaut des Auges das Gesehene in unzählige Teile. Anschließend setzt das Gehirn sie nach und nach wieder zusammen, indem es die Form von Buchstaben analysiert, sie dadurch erkennt und zu Wörtern zusammenfügt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei ein Hirnareal an der Grenze zwischen Hinterhaupts- und Schläfenlappen, das Dehaene die "Region der visuellen Wortform" getauft hat.
Doch wie kann das Gehirn des Menschen so wunderbar ans Lesen angepasst sein, obwohl es die raffinierte Kulturtechnik erst seit ein paar tausend Jahren gibt – evolutionär betrachtet ein Wimpernschlag? Dehaene sucht das von ihm so benannte "Paradox des Lesens" aufzulösen. Bei der Erfindung der Schrift und des Lesens konnte der Mensch sein Gehirn nicht neu "verdrahten", sondern musste sich mit dem begnügen, was ihm die Natur an Hardware mitgegeben hat. Also passte sich das Gehirn kulturellen Erfordernissen an, indem es bereits bestehende neuronale Schaltkreise neuen Verwendungen zuführte – so die Kernthese seines Werks. Dehaene nennt es "neuronales Recycling". Schon bei Primaten reagieren gewisse Hinrareale auf elementare Formen von Objekten. Buchstabenähnliche Formen wie das Y einer Astgabel kämen bereits in der Natur vor und seien dann für Schriftzeichen erneut verwendet worden, genauso wie die entsprechenden Hirnregionen.
Diese elementaren Formen findet der Kognitionswissenschaftler beim Sichten der unterschiedlichsten Schriftsysteme wieder. Chinesische Schriftzeichen und das lateinische Alphabet haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein, doch die Grundformen ähneln sich. Im Lauf von Jahrtausenden seien alle Schriftsysteme über Versuch und Irrtum zu ähnlichen elementaren Formen gelangt, die das Gehirn relativ problemlos erfassen kann. Daher wundert es Dehaene wenig, dass sich auch die Hirnschaltkreise fürs Lesen über die Kulturen hinweg gleichen.
Vor dem Hintergrund seiner These, dass das Gehirn eigentlich nicht zum Lesen gemacht ist, wendet sich der Autor auch dem Lesenlernen zu. Dabei beschäftigt er sich unter anderem mit den Ursachen der Legasthenie und dem erstaunlichen Phänomen, dass viele Kinder kurzzeitig in Spiegelschrift schreiben.
Die Fülle der empirischen Details verlangt dem Leser einiges ab. Dafür wird er immer wieder mit anschaulichen Vergleichen und Anekdoten entschädigt - und mit überraschenden Einsichten. So auf den Inhalt konzentriert, vergisst er beim Lesen, dass diese komplexen Vorgänge gerade bei ihm selbst ablaufen.
In seinem fundierten und erstaunlich flüssig geschriebenen Sachbuch lässt Stanislas Dehaene seine Leser immer wieder über die Wunder des Lesens staunen, die ihnen normalerweise gar nicht bewusst werden. Akribisch und mit zahlreichen empirischen Belegen zeichnet der französische Kognitionswissenschaftler vom Collège de France in Paris den komplizierten Weg nach, den das Geschriebene in unserem Oberstübchen einschlägt.
Scheinbar unmittelbar und auf einen Schlag erfassen wir Wörter und deren Sinn. Doch in Wahrheit zerlegt erst einmal die Netzhaut des Auges das Gesehene in unzählige Teile. Anschließend setzt das Gehirn sie nach und nach wieder zusammen, indem es die Form von Buchstaben analysiert, sie dadurch erkennt und zu Wörtern zusammenfügt. Eine wesentliche Rolle spielt dabei ein Hirnareal an der Grenze zwischen Hinterhaupts- und Schläfenlappen, das Dehaene die "Region der visuellen Wortform" getauft hat.
Doch wie kann das Gehirn des Menschen so wunderbar ans Lesen angepasst sein, obwohl es die raffinierte Kulturtechnik erst seit ein paar tausend Jahren gibt – evolutionär betrachtet ein Wimpernschlag? Dehaene sucht das von ihm so benannte "Paradox des Lesens" aufzulösen. Bei der Erfindung der Schrift und des Lesens konnte der Mensch sein Gehirn nicht neu "verdrahten", sondern musste sich mit dem begnügen, was ihm die Natur an Hardware mitgegeben hat. Also passte sich das Gehirn kulturellen Erfordernissen an, indem es bereits bestehende neuronale Schaltkreise neuen Verwendungen zuführte – so die Kernthese seines Werks. Dehaene nennt es "neuronales Recycling". Schon bei Primaten reagieren gewisse Hinrareale auf elementare Formen von Objekten. Buchstabenähnliche Formen wie das Y einer Astgabel kämen bereits in der Natur vor und seien dann für Schriftzeichen erneut verwendet worden, genauso wie die entsprechenden Hirnregionen.
Diese elementaren Formen findet der Kognitionswissenschaftler beim Sichten der unterschiedlichsten Schriftsysteme wieder. Chinesische Schriftzeichen und das lateinische Alphabet haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander gemein, doch die Grundformen ähneln sich. Im Lauf von Jahrtausenden seien alle Schriftsysteme über Versuch und Irrtum zu ähnlichen elementaren Formen gelangt, die das Gehirn relativ problemlos erfassen kann. Daher wundert es Dehaene wenig, dass sich auch die Hirnschaltkreise fürs Lesen über die Kulturen hinweg gleichen.
Vor dem Hintergrund seiner These, dass das Gehirn eigentlich nicht zum Lesen gemacht ist, wendet sich der Autor auch dem Lesenlernen zu. Dabei beschäftigt er sich unter anderem mit den Ursachen der Legasthenie und dem erstaunlichen Phänomen, dass viele Kinder kurzzeitig in Spiegelschrift schreiben.
Die Fülle der empirischen Details verlangt dem Leser einiges ab. Dafür wird er immer wieder mit anschaulichen Vergleichen und Anekdoten entschädigt - und mit überraschenden Einsichten. So auf den Inhalt konzentriert, vergisst er beim Lesen, dass diese komplexen Vorgänge gerade bei ihm selbst ablaufen.
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