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Eine Ode an die Natur

Der Titelheld hat das Erscheinen des Buchs nicht mehr erlebt. Ende Juni 2012 verstarb die männliche Pinta-Riesenschildkröte "Lonesome George" im Alter von ungefähr 100 Jahren in der Charles-Darwin-Station auf den Galapagosinseln. Mehrere Jahrzehnte lang galt der einsame alte Mann als der letzte seiner Art. Erst jüngst gab es eine Überraschung: Forscher identifizierten 17 lebende Individuen als seine Artgenossen.

Dass eine ausgestorben geglaubte Spezies wiederentdeckt wird, ist ein äußerst seltener Glücksfall; dass eine fast ausgestorbene vor dem endgültigen Verschwinden bewahrt wird, leider auch. Denn wie der Biologe und Wissenschaftsjournalist Lothar Frenz an zahlreichen Beispielen – nach Kontinenten geordnet – aufzeigt, ist für jede derartige Rettungsaktion großes Engagement erforderlich.

Gesetzliche Bestimmungen kamen, wenn überhaupt, meist zu spät. Einer der wenigen Erfolge ist die Rettung des Kalifornischen Kondors. Artenschützer zogen in den 1980er Jahren künstlich ausgebrütete Jungtiere in Gefangenschaft groß, mit Liebe, Fachwissen und Fantasie: Handpuppen mussten die Elterntiere vertreten. Die Aktion war auch unter Naturschützern umstritten; aber innerhalb von rund 15 Jahren wurden die Zöglinge ausgewildert, und 2011 lebten wieder 400 statt zuvor 27 Individuen des nordamerikanischen Fluggiganten auf dem Kontinent.

Noch seltener versuchen ambitionierte Forscher, ausgestorbene Arten wieder ins Leben zurückzuholen – kuriose Versuche, die dem Leser trotz Frenzens sachlicher Darstellung hier und da ein Schmunzeln entlocken. Das Paradebeispiel ist die vermeintliche Rückzüchtung des Auerochsen Bos primigenius. In den 1920er Jahren hatten die Brüder Lutz und Heinz Heck, Zoodirektoren in Berlin beziehungsweise München, den Ehrgeiz, das heroische Tier wieder durch die verbliebenen europäischen Wälder streifen zu lassen. Nur ist aus ihren Kreuzungen von korsischen Berg- und ungarischen Steppenrindern mit spanischen Kampfstieren und schottischem Hochlandblut nicht die 1627 ausgestorbene Ursprungsart entstanden, sondern lediglich eine neue Rinderrasse.

Sogar per Klonen wollte man eine ausgestorbene Art wiederbeleben, nachdem 1996 Schaf Dolly das Licht der Welt erblickt hatte. Der letzten weiblichen Pyrenäen-Steingeiß hatten Biologen 1999 vorsichtshalber genetisches Material entnommen. Doch das Experiment – das 2009 geborene Kitz lebte nur sieben Minuten.

Frenz zieht einen roten Faden durch die Lebens- und Aussterbegeschichten, der den Menschen klar als Verursacher ausweist: In allen Fällen hat man zu spät oder nie Maßnahmen ergriffen, die die eigenen, verheerenden Einflüsse wettgemacht hätten. Ob Trophäenjagd, Medizin, Zerstörung von Lebensraum oder Klimawandel – Lothar Frenz’ Liste deckt die diskutierten Gründe für das menschenverursachte Artensterben komplett ab. Seine akribisch recherchierten Fakten hinterlassen beim Leser ein Gefühl des Bedauerns.

Nicht erst in jüngster Zeit hat die Gattung Homo massiv die Artenvielfalt aller Kontinente beeinflusst, sondern schon als sie sich über die Erdkugel ausbreitete. Allerdings kommt es offensichtlich darauf an, wie viel Zeit die Fauna hatte, um sich auf die neue Bedrohung durch die immer geschickteren Jäger auf zwei Beinen einzustellen. In Afrika, der "Wiege der Menschheit", waren es immerhin zweieinhalb Millionen Jahre. Deshalb haben hier – zumindest bis Anfang des 19. Jahrhunderts – noch die "Big Five" Elefant, Spitzmaulnashorn, Löwe, Leopard und Büffel die Stellung gehalten.

In Asien und Europa, wo die Fauna immerhin schon mit Homo ergaster und Homo heidelbergensis vertraut war, überlebten noch einige Großtiere bis in die Moderne. Dagegen wurden die Tiere Australiens, Amerikas und vor allem Neuseelands geradezu überrascht, als vor 50 000, 13 000 beziehungsweise 1000 Jahren Homo sapiens erstmals seinen Fuß aufs Land setzte.

Welchen Sinn hat es überhaupt, Tierarten mit großem Aufwand vor dem Aussterben zu bewahren oder in ehemals von ihnen bevölkerten Gebieten wieder anzusiedeln? Im Epilog gibt Frenz eine ernüchternde Teilantwort: Es geht nicht darum, der Natur zu ihrem Recht zu verhelfen. Der Natur ist es gleichgültig, ob eine Art mehr oder weniger auf diesem Planeten lebt. Früher oder später nimmt eine neue Art den Platz einer ausgestorbenen ein, besonders drastisch zu sehen an drei großen Aussterbeereignissen – das erste vor fast 440 Millionen Jahren –, denen jeweils eine ganz neue Artenvielfalt folgte.

Dementsprechend liegt es, bei aller Trauer über den Verlust jeder einzelnen Art, dem Autor fern, die Menschheit eines Verbrechens an unserem Heimatplaneten zu bezichtigen. Lothar Frenz hat sein Buch hervorragend recherchiert. Er überrascht mit Kuriositäten, glänzt mit Fachwissen und hebt beim heiklen Thema Artenschutz nicht den moralischen Zeigefinger.

Humorvoll und einfühlsam erzählt er die Geschichten von Lebewesen, die einst unsere Erde besiedelten, und vergisst dabei die Pflanzen nicht. Er ergänzt geläufige Beispiele um weniger bekannte Details und spannende Exkurse durch die Erdgeschichte. Das macht es sowohl für Laien als auch für Fachleute lesenswert.

  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 4/2013

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