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Ein Politikgenie der Renaissance

Florenz im Mai 1498: Die Stadt am Arno sieht sich einer schweren innenpolitischen Krise gegenüber. Vom Papst mit dem Interdikt bedroht, schickt der Magistrat den Prior des Dominikanerklosters San Marco, Girolamo Savonarola, auf den Scheiterhaufen. Der Geistliche hatte das Machtvakuum nach der Vertreibung der Medici genutzt, um Florenz auf den Weg zum Gottesstaat zu bringen. Doch der Tod des in Teilen der Bevölkerung noch immer populären Dominikaners droht die Republik zu spalten. Florenz braucht dringend neue Ideen und neue Gesichter.

Eines dieser Gesichter gehörte Niccolò Machiavelli. Wenige Tage nach Savonarolas Ende machte der Stadtrat den 29-Jährigen zum Chef der Zweiten Kanzlei und damit zum Sekretär der florentinischen Regierung. Was ihn für dieses Amt qualifizierte, war sicher nicht seine Herkunft: Zwar entstammte er einer der wichtigeren Familien der Stadt, allerdings einem verarmten, wenig angesehenen Zweig. Eher schon dürfen wir vermuten, dass der neue Kanzleichef sich durch seine Abneigung gegen die zu Zeiten der Medici grassierende Cliquenwirtschaft und durch seinen messerscharfen Verstand für die neue Aufgabe empfahl.

Jedenfalls wurde der so Berufene in den Folgejahren mit den heikelsten diplomatischen Missionen beauftragt. 14 Jahre lang reiste er im Auftrag der Arno-Republik durch Italien, traf sich mit Kaiser und Papst, mit Königen und Kriegsherren und versorgte seine Vorgesetzten mit Informationen über die wahren Absichten der Mächtigen, die diese mehr oder weniger geschickt hinter den Schleiern der Diplomatie zu verbergen suchten. Dass Machiavellis hellsichtige Kommentare in Florenz allzu oft auf taube Ohren stießen, steht indes auf einem ganz anderen Blatt.

Aus epoc 2/2012
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Mit der Rückkehr der Medici nach Florenz ging Machiavellis Karriere 1512 jäh zu Ende. Die neuen alten Stadtherren hatten nicht nur keine Verwendung für seine Dienste, der entlassene Kanzleichef wurde eingekerkert, gefoltert und musste zeitweise sogar um sein Leben fürchten. Politisch kaltgestellt, widmete sich der zunehmend Verbitterte dem Schreiben: In den Jahren bis zu seinem Tod 1527 entstanden seine wichtigsten Schriften, allen voran "Der Fürst", die bis heute wohl schonungsloseste Beschreibung rücksichtsloser Herrschaftsgewalt. Das Werk brachte seinem Verfasser einen üblen Ruf ein – zu Unrecht, hat Machiavelli doch nichts anderes getan, als die Mechanismen kalter Machtpolitik mit ebenso kaltem Blick zu sezieren.

Volker Reinhardt führt uns Machiavelli als einen hellsichtigen Denker vor, dessen berüchtigter Zynismus zu einem Gutteil aus der Erfahrung eigener Machtlosigkeit erklärbar wird. Zugleich entwirft der Autor ein faszinierendes Renaissancegemälde, das die Wirren der italienischen Geschichte in den Jahren vor der Katastrophe des Sacco di Roma lebendig werden lässt. Ein unbedingt lesenswertes Buch.

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  • Quellen
epoc 2/2012

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