Die Heimkehr des vertriebenen Sohnes
Wer begründete die Quantenmechanik? Da fallen einem wohl zuerst Erwin Schrödinger (1887-1961) und Werner Heisenberg (1901-1976) ein, der eine mit der nach ihm benannten Wellengleichung, der andere mit der Unbestimmtheitsrelation, beide 1932 und 1933 mit Nobelpreisen geehrt. Viel weniger bekannt ist die Rolle von Heisenbergs Lehrer Max Born (1882-1970). Born führte nicht nur 1926 den Begriff Quantenmechanik ein, sondern lieferte die mathematische Grundlage für das so genannte Heisenberg- Bild der Quantenphysik. Bei diesem Formalismus steckt die Physik in zeitabhängigen Observablen, das heißt in beobachtbaren Größen wie Ort und Impuls. Heisenberg fand nun heraus, dass diese Größen in der Quantenphysik durch nichtkommutative Größen zu beschreiben sind.
Gewöhnliche Zahlen sind kommutativ, das heißt, es kommt, wenn man sie multipliziert, nicht auf die Reihenfolge an. Was für ungewöhnliche mathematische Objekte sind diese nichtkommutativen Größen? Die Antwort gab Max Born, der Mathematiker unter den Quantenphysikern: Es sind Matrizen. Bei solchen zweidimensionalen Anordnungen von Zahlen in Zeilen und Spalten macht es tatsächlich einen Unterschied, wie man sie multipliziert. Das drückte Born im Juli 1925 mit der Matrizenformel pq-qp=(h/2πi)I aus, die heute auf seinem Grabstein in Göttingen steht; darin bezeichnet p den Impuls, q den Ort, h das Planck'sche Wirkungsquantum und I die Einheitsmatrix. Heisenbergs berühmte Unbestimmtheitsrelation ist eine Folge dieser Formel. Die "Dreimännerarbeit" von Max Born, Werner Heisenberg und Pascual Jordan, erschienen in der "Zeitschrift für Physik" 1926, begründete die Matrizenmechanik, die aber später nur noch mit Heisenberg identifiziert wurde.
Eine alternative – und wie sich bald zeigte, äquivalente – Formulierung der Quantenmechanik ist das Schrödinger-Bild. Dabei steckt die Physik in der zeitabhängigen Schrödinger'schen Wellenfunktion Ψ. Auch zu diesem Formalismus leistete Born einen wesentlichen Beitrag, indem er die Wellenfunktion als "Wahrscheinlichkeitswelle" interpretierte: Der Wert dieser Funktion gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Zustandsmessung ein bestimmtes Ergebnis hat. Damit präzisierte Born den statistischen Charakter der Quantenmechanik. Die Zustandsfunktion Ψ gehorcht zwar der deterministischen Schrödinger- Gleichung, aber der Zustand selbst ist nicht eindeutig definiert, sondern umfasst die Gesamtheit aller mehr oder weniger wahrscheinlichen Messresultate.
Born – für seinen Mathematiker-Kollegen Norbert Wiener "der bescheidenste Gelehrte, den ich kenne" – litt zeit seines Lebens darunter, dass sein Beitrag zur Quantenphysik unterschatzt wurde, und empfand die Verleihung des Nobelpreises 1954 als späte Genugtuung. Noch viel länger hat es gedauert, bis diesem "Baumeister der Quantenwelt" eine repräsentative Biografie gewidmet wurde. Die amerikanische Autorin Nancy Greenspan verfolgt fast taggenau das Schicksal des stillen Gelehrten und anregenden Lehrers, aus dessen Unterricht neun Nobelpreisträger hervorgingen. Wie alle Quantenphysiker war Born, wenn auch nur indirekt, mit dem Problem der Atombombe konfrontiert. In Göttingen gehörte zu seinen Schülern 1926/27 Robert Oppenheimer, der spätere Leiter des Manhattan- Projekts und "Vater der Bombe". Born hatte damals Mühe, Oppenheimers Wunderkind- Allüren zu ertragen, gab aber seiner Dissertation die Bestnote und entwickelte mit ihm die "Born-Oppenheimer-Näherung" für die Schrödinger-Gleichung von Molekülen. Später, im Jahr 1938, promovierte auch der "Atomspion" Klaus Fuchs bei Born. Fuchs arbeitete anschließend am britischen und amerikanischen Bombenprogramm mit; da er im nuklearen Monopol des Westens eine Gefahr für den Weltfrieden sah, lieferte er der Sowjetunion geheime Daten zur Physik der Atombombe.
Born entstammte dem deutschen Bildungsbürgertum; dass er jüdischer Herkunft war, spielte für ihn erst eine Rolle, als die Nazis die Universitäten mit ihrem rassistischen Terror überzogen. Born musste emigrieren und fand schließlich in Edinburgh eine akademische Heimat. Verwandte und Freunde wurden in deutschen Konzentrationslagern umgebracht. Darum konnte Albert Einstein, mit dem Born eine lebenslange Freundschaft unterhielt, nicht begreifen, dass Born dennoch nach dem Krieg nach Deutschland heimkehrte, "ins Land der Massenmörder", wie Einstein ihm schrieb.
Heikel war zeitweise auch Borns Verhältnis zu Heisenberg, über den er in einem privaten Brief Ende 1947 urteilte: "Seine Lebensphilosophie ist zweifellos von Nazigedanken etwas infiziert … Er bedauert anscheinend mehr, dass sich die Deutschen nicht als die Stärksten erwiesen haben, als das, was wir für die traurigen und bedauerlichen Dinge halten."
Trotz allem kehrte Born heim, um "zu helfen, für eine geistige Erneuerung Deutschlands zu arbeiten". In seinen späten Jahren engagierte er sich als ein führendes Mitglied der "Göttinger Achtzehn" – darunter auch Heisenberg – gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik und für allgemeine Abrüstung. Heute sind Schulen und Straßen in seiner Heimat nach ihm benannt. Die deutsche Ausgabe dieser Biografie vollendet die Heimkehr des vertriebenen Sohnes.
Gewöhnliche Zahlen sind kommutativ, das heißt, es kommt, wenn man sie multipliziert, nicht auf die Reihenfolge an. Was für ungewöhnliche mathematische Objekte sind diese nichtkommutativen Größen? Die Antwort gab Max Born, der Mathematiker unter den Quantenphysikern: Es sind Matrizen. Bei solchen zweidimensionalen Anordnungen von Zahlen in Zeilen und Spalten macht es tatsächlich einen Unterschied, wie man sie multipliziert. Das drückte Born im Juli 1925 mit der Matrizenformel pq-qp=(h/2πi)I aus, die heute auf seinem Grabstein in Göttingen steht; darin bezeichnet p den Impuls, q den Ort, h das Planck'sche Wirkungsquantum und I die Einheitsmatrix. Heisenbergs berühmte Unbestimmtheitsrelation ist eine Folge dieser Formel. Die "Dreimännerarbeit" von Max Born, Werner Heisenberg und Pascual Jordan, erschienen in der "Zeitschrift für Physik" 1926, begründete die Matrizenmechanik, die aber später nur noch mit Heisenberg identifiziert wurde.
Eine alternative – und wie sich bald zeigte, äquivalente – Formulierung der Quantenmechanik ist das Schrödinger-Bild. Dabei steckt die Physik in der zeitabhängigen Schrödinger'schen Wellenfunktion Ψ. Auch zu diesem Formalismus leistete Born einen wesentlichen Beitrag, indem er die Wellenfunktion als "Wahrscheinlichkeitswelle" interpretierte: Der Wert dieser Funktion gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Zustandsmessung ein bestimmtes Ergebnis hat. Damit präzisierte Born den statistischen Charakter der Quantenmechanik. Die Zustandsfunktion Ψ gehorcht zwar der deterministischen Schrödinger- Gleichung, aber der Zustand selbst ist nicht eindeutig definiert, sondern umfasst die Gesamtheit aller mehr oder weniger wahrscheinlichen Messresultate.
Born – für seinen Mathematiker-Kollegen Norbert Wiener "der bescheidenste Gelehrte, den ich kenne" – litt zeit seines Lebens darunter, dass sein Beitrag zur Quantenphysik unterschatzt wurde, und empfand die Verleihung des Nobelpreises 1954 als späte Genugtuung. Noch viel länger hat es gedauert, bis diesem "Baumeister der Quantenwelt" eine repräsentative Biografie gewidmet wurde. Die amerikanische Autorin Nancy Greenspan verfolgt fast taggenau das Schicksal des stillen Gelehrten und anregenden Lehrers, aus dessen Unterricht neun Nobelpreisträger hervorgingen. Wie alle Quantenphysiker war Born, wenn auch nur indirekt, mit dem Problem der Atombombe konfrontiert. In Göttingen gehörte zu seinen Schülern 1926/27 Robert Oppenheimer, der spätere Leiter des Manhattan- Projekts und "Vater der Bombe". Born hatte damals Mühe, Oppenheimers Wunderkind- Allüren zu ertragen, gab aber seiner Dissertation die Bestnote und entwickelte mit ihm die "Born-Oppenheimer-Näherung" für die Schrödinger-Gleichung von Molekülen. Später, im Jahr 1938, promovierte auch der "Atomspion" Klaus Fuchs bei Born. Fuchs arbeitete anschließend am britischen und amerikanischen Bombenprogramm mit; da er im nuklearen Monopol des Westens eine Gefahr für den Weltfrieden sah, lieferte er der Sowjetunion geheime Daten zur Physik der Atombombe.
Born entstammte dem deutschen Bildungsbürgertum; dass er jüdischer Herkunft war, spielte für ihn erst eine Rolle, als die Nazis die Universitäten mit ihrem rassistischen Terror überzogen. Born musste emigrieren und fand schließlich in Edinburgh eine akademische Heimat. Verwandte und Freunde wurden in deutschen Konzentrationslagern umgebracht. Darum konnte Albert Einstein, mit dem Born eine lebenslange Freundschaft unterhielt, nicht begreifen, dass Born dennoch nach dem Krieg nach Deutschland heimkehrte, "ins Land der Massenmörder", wie Einstein ihm schrieb.
Heikel war zeitweise auch Borns Verhältnis zu Heisenberg, über den er in einem privaten Brief Ende 1947 urteilte: "Seine Lebensphilosophie ist zweifellos von Nazigedanken etwas infiziert … Er bedauert anscheinend mehr, dass sich die Deutschen nicht als die Stärksten erwiesen haben, als das, was wir für die traurigen und bedauerlichen Dinge halten."
Trotz allem kehrte Born heim, um "zu helfen, für eine geistige Erneuerung Deutschlands zu arbeiten". In seinen späten Jahren engagierte er sich als ein führendes Mitglied der "Göttinger Achtzehn" – darunter auch Heisenberg – gegen die atomare Bewaffnung der Bundesrepublik und für allgemeine Abrüstung. Heute sind Schulen und Straßen in seiner Heimat nach ihm benannt. Die deutsche Ausgabe dieser Biografie vollendet die Heimkehr des vertriebenen Sohnes.
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