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Die große Welt im Blick

Auch wenn Alexander von Humboldt (1769 –1859) als Autor dieses Buchs genannt wird: Er hat es so nicht geschrieben. Vielmehr hat der Literaturwissenschaftler und Historiker Frank Holl Originalzitate Humboldts (teils aus unveröffentlichtem Material) durch eigene Texte zu einem neuen Werk verbunden. So kann der Leser die frische, reiche Sprache Humboldts genießen, ohne die unzähligen Bände des Gesamtwerks lesen zu müssen.

Besser als eine ausführliche Biografie zeigt dieser opulente, farbenfreudige Prachtband die Bedeutung, die Humboldt für seine Zeit gehabt hat, und warum sein Werk heute noch nachlebt. Holl hatte auch keine eigentliche Biografie im Sinn; in der Tat gewinnt die Lesbarkeit durch die Abwesenheit eines wissenschaftlichen Apparats und den sehr sparsamen Einsatz von Fußnoten. Aber eine Zeittafel und ein Verzeichnis der Werke Humboldts hätte er seinen Lesern doch gönnen sollen.

Von der Jugend des preußischen Offizierssohns Alexander erfahren wir vor allem, dass sie nicht glücklich war. Sein Privatleben wird ausgeklammert. Wir können schließen, dass Humboldt kein Familienleben und kein herkömmliches Liebesleben hatte.

Hingegen führt sein Interesse an der Natur rasch zu ersten Beobachtungen in Botanik und Geologie und, nach einem Studium in Göttingen, zu Publikationen und frühen Ehren. Mit 23 Jahren wird er Oberbergmeister, zwei Jahre später Bergrat (Mitglied der Münz- und Bergwerksbehörde) im preußischen Staatsdienst. Diese Stellung gibt ihm finanzielle Sicherheit und ermöglicht ihm die ersten naturwissenschaftlichen Versuche.

In seinen Bemühungen um die Wohlfahrt und Ausbildung der Bergarbeiter und ihrer Kinder zeigt sich seine pädagogische und soziale Ader, in seinen ersten Begegnungen mit Goethe und Schiller seine Kontaktfreudigkeit zu den Großen seiner Zeit. Goethe verehrt ihn, Schiller beurteilt ihn sehr kritisch: Seine Erfolge habe er vor allem seinem großen Maul zu verdanken, meint er später.

Als 1796 Humboldts reiche Mutter stirbt, wird er finanziell unabhängig und quittiert sofort den Staatsdienst. Sein Ziel ist nun Paris, die Hauptstadt der Aufklärung, seine Sehnsucht die weite Welt.

In Paris nimmt Humboldt Kontakt zu allen französischen Forschern und Naturwissenschaftlern auf, welche die Terrorherrschaft nach der Revolution überlebt haben, und betreibt die Vorbereitungen zu seiner schon lange erträumten Weltreise. Zufällig lernt er den Mediziner und Botaniker Aimé Bonpland (1773 – 1858) kennen, wählt ihn zu seinem Begleiter und findet in ihm einen wertvollen und bescheidenen Kameraden und einen Gehilfen bei dem so wichtigen Bestimmen von Pflanzen. In Jena besorgt er sich die nötigen geodätischen und astronomischen Instrumente und erlernt ihre Bedienung.

Der Start in die Welt verzögert sich, vor allem aus kolonialpolitischen Gründen. Doch als der Generalpass für alle spanischen Besitzungen in Mittel- und Südamerika vorliegt, ist die Bahn frei, und am 5. Juni 1799 segelt das Schiff mit der Expedition vom spanischen Hafen La Coruña ab. Fünf Jahre lang sind die zwei nun unterwegs, bis sie am 3. August 1804 in Bordeaux wieder europäischen Boden betreten.

Bei der Betrachtung der Reiseroute ist man erstaunt, wie klein eigentlich die bereiste Fläche ist: Neben Mexiko und Kuba haben die beiden vor allem den Nord- und Westrand des Amazonasbeckens besucht. Humboldt machte daraus aber die tropische Welt schlechthin, mit ihren Strömen und Hochgebirgen und mit den alten und neuen Kulturen. Aus seinen Untersuchungen und Beschreibungen erschließt sich auch für uns wirklich die Welt der Tropen. Diese Kraft der Verallgemeinerung ist eine der Stärken Humboldts.

Der Privatgelehrte war nicht in erster Linie Entdecker – Mittelamerika und das nördliche Südamerika waren schon intensiv und kolonisiert –, sondern einer der ersten und größten wissenschaftlichen Reisenden, und wohl der fruchtbarste. Damit wurde er zum Wegbereiter der modernen Geophysik und Ökologie.

Humboldt reiste immer mit wenig Gepäck – außer seinen Instrumenten – und wenig Hilfspersonal. Er verpflegte sich vom Land, mit Hilfe von Tauschwaren. Seine Tagebücher füllte er mit Skizzen und lebendigen Beschreibungen von humorvollen Indianern, satten Tigern und gefräßigen Piranhas. Seine Meinung über die Kolonialherrschaft, über die Sklaverei in Kuba und die Behandlung der Indianer durch die christlichen Missionare durfte er später nur in gemilderter Form publizieren, denn sein Unternehmen war auf das Wohlwollen der Kolonialbehörden angewiesen.

Was er zum Verhältnis von Mensch und Natur und zu Klima und Vegetation notierte, waren Grundlagen der Ökologie im modernen Sinne. So stellte er angesichts einer gerodeten Landschaft fest, dass mit der Entwaldung nicht nur Holz verloren geht, sondern auch Wasser.

Einige Unternehmungen stechen aus seinen Berichten hervor. Die so eindrücklichen farbigen Illustrationen dazu stammen allerdings nicht von ihm, sondern wurden später nach seinen Angaben von bewährten Künstlern erstellt. Einer von ihnen, Ferdinand Bellermann, bereiste dazu die Reiseroute nachträglich selbst noch einmal.

Ein Höhepunkt seiner fünfjährigen Reise ist die Bestätigung, dass das Stromsystem des Orinoko tatsächlich mit dem des Amazonas durch eine Gabelung des Orinoko verbunden ist, wie schon vermutet wurde. Mit dem Chimborazo (6267 Meter) will Humboldt den nach damaligem Wissen höchsten Berg der Erde besteigen, muss aber wegen der Schneeverhältnisse und des Sauerstoffmangels 390 Meter unterhalb des Gipfels umkehren. Immerhin ist es die bis dahin höchste Bergbesteigung. Die Beschreibung dieses Abenteuers und der umliegenden Kordilleren füllte bei der späteren Auswertung allein ein ganzes Buch.

Im Januar 1804 verkaufen die Reisenden in Mexiko-Stadt den Großteil ihrer Instrumente und kehren über Havanna und die USA – mit einem Besuch bei Präsident Thomas Jefferson – nach Hause zurück.

Nun beginnt die Auswertung und Illustration des riesigen Materials, die Jahrzehnte in Anspruch nimmt und in einem Gesamtwerk von 29 Bänden mündet. Diese erschienen aber zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Sprachen (Deutsch und Französisch) und werden andauernd umgearbeitet und neu zusammengestellt. Bis heute gibt es keine geordnete Gesamtausgabe von Humboldts Weltreise.

Spätere Leistungen Humboldts sind eine Vorlesungsreihe mit dem Titel "Kosmos" sowie eine Reise durch Russland und Sibirien. 1845 nimmt er in Angriff, was die Krönung seines Lebenswerks werden soll: das Buch "Kosmos, Entwurf einer physischen Weltbeschreibung". Vor dessen Vollendung stirbt er, müde, ausgelaugt, weltberühmt und bewundert.

Das Werk Alexander von Humboldts ist ein später Höhepunkt der Aufklärung und ein Ausgangspunkt für alle modernen Erdwissenschaften.
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 2/2010

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