Das gläserne Genom
Kennen Sie Lone Frank? Lone Frank neigt zu Depressionen, hat ein um 33 Prozent erhöhtes Risiko an Lungenkrebs zu erkranken und Brustkrebs in der Familie. Vor allem aber ist sie Autorin des mutigen und hochaktuellen Buches "Mein wundervolles Genom", in dem sie tiefe Einblicke in den Buchstabencode ihrer DNA gewährt.
Sie hat darin einen "Selbstversuch im Zeitalter der persönlichen Genforschung" unternommen und ihre DNA allen genetischen Tests unterzogen, die auf dem Markt verfügbar sind. Das Prinzip ist einfach: Ein Wattestäbchen mit Speichel oder eine Kanüle mit Blut einschicken und wenige Tage später liefern Firmen mit klangvollen Namen wie "DeCODEme" oder "23andMe" genetische Antworten auf die wichtigen Fragen des Lebens: Wer bin ich? Woher stamme ich? Woran könnte ich sterben? Passt mein Partner zu mir?
Lone Frank hat einen Blick in die Kristallkugel gewagt und ihre genetische Zukunft erforscht. "Brutal ehrlich" lässt die Autorin den Leser an den Ergebnissen ihrer Tests teilhaben und konfrontiert ihn auch mit den Problemen und Risiken, die dieses Wissen mit sich bringt. Trotz großer Angst vor dem Ergebnis stellt sie sich auch einem Test auf spezielle Mutationen in den Brustkrebsmarkern BRCA1 und BRCA2. Berührend, ohne in die Sentimentalität abzugleiten, schildert sie ihren inneren Kampf und die Sorgen, dass sie das gleiche Schicksal trifft, wie ihre Mutter und Großmutter.
Weniger schwerwiegend ist ihre Entscheidung an einem genetischen Persönlichkeitstest teilzunehmen und den Einfluss ihrer Gene auf ihr Verhalten zu erfahren. Wie die Neurobiologin in ihrem Buch beschreibt, haftete der Verhaltensgenetik früher oft das Schreckgespenst Eugenik an. Sie widmet diesem heute faszinierenden Feld zwei Kapitel, in denen sie Ergebnisse aktueller Studien zusammenfasst und man erfährt, warum die Autorin "verwundbar, aber unverträglich" ist.
Das Buch ist gerade deshalb authentisch, weil man sich als Leser die gleichen Fragen stellen kann, die Frank sich stellt: Ist es ein Fluch oder Segen seine eigenen "Defekte" zu kennen? Lebt es sich leichter, wenn man seine Risiken kennt? Das Buch gibt zum einen eine tief persönliche Antwort auf diese Fragen zum anderen diskutieren darin führende Genetiker und Spezialisten über die Chancen und Risiken des expandierenden Felds der "Konsumgenetik".
Franks Stil ist sehr persönlich und doch steht ihr naturwissenschaftlich, forschendes Interesse im Vordergrund. So verliert sie sich nicht in Details, behält das große Ganze immer im Blick und zieht alles in allem eine positive Bilanz ihres Experiments: "[...] mein Genom ist keine Zwangsjacke, sondern ein weicher Pullover, den ich ausfüllen und formen kann [...]. Es ist [...] eine Information, die mir mehr Freiheit schenkt, mein Leben und mein Wesen zu gestalten" (S.308).
Unglücklich ist allerdings die Wahl des Coverdesigns der deutschen Ausgabe, das eher zu einem Thriller mit dem Titel "Renn, wenn du kannst" passen würde als zu einem wirklich gelungenen Sachbuch. "Mein wundervolles Genom" ist nicht nur aufgrund seiner Aktualität lesenswert. Man fiebert mit, man leidet mit – weil es echt ist, keine Fiktion. Nicht "Schöne neue Welt", nicht "GATTACA", sondern Lone Frank.
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