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Was die Gene uns verraten

Gehören Gentests bald zum Alltag? Wird es in wenigen Jahren normal sein, das eigene Erbgut entziffern zu lassen? Die Antwort ist ja – wenigstens, wenn man Francis Collins glaubt. Collins leitet die wichtigste US-Behörde für biomedizinische Forschung, die National Institutes of Health (NIH), und hat maßgeblich zur modernen Genforschung beigetragen. Er hat ein Buch über die künftige Medizin geschrieben, das jetzt unter dem Titel "Meine Gene – mein Leben" erschienen ist,

Collins ist überzeugt, dass die Medizin vor einer Revolution steht. Bislang, schreibt er, beurteilen Ärzte ihre Patienten auf Grund von äußeren Symptomen und Labortests. Die Behandlungsmethoden, die sie dann anwenden, gründen auf Studien an großen Patientengruppen, wobei die Patienten als im Prinzip identische Objekte angesehen werden. Heraus kommen Standardverfahren, die viel Geld verschlingen – hauptsächlich für die Behandlung von Krankheiten und nur zu einem winzigen Teil für die Vorsorge. "Wir haben kein Gesundheitssystem, sondern ein Krankheitssystem", urteilt Collins. Nötig sei ein Paradigmenwechsel, hin zu einer überwiegend vorbeugenden Medizin, die auf jeden Patienten individuell zugeschnitten ist, speziell auf seine Gene. Diese "personalisierte Medizin" solle nicht nur die Krankheitsvorsorge umfassen, sondern auch die Diagnostik und Therapie.

Schon in wenigen Jahren werde vermutlich jeder die Möglichkeit haben, seine DNA für einige hundert Dollar vollständig entziffern zu lassen, schreibt Collins. Diese Informationen erlauben es, bei jedem Menschen das Risiko für künftige Erkrankungen abzuschätzen, aufgeschlüsselt nach der Art des Leidens. Wird so ein Test kurz nach der Geburt durchgeführt, kann man den Krankheiten, für die das größte Risiko besteht, von klein auf mit einem maßgeschneiderten Präventionsprogramm vorbeugen. Collins hält das für den besten Ansatz: "Eine Krankheit ist weder ein Zufallsprodukt noch unvermeidbar."

DNA-Tests sollten künftig auch beim Verschreiben von Medikamenten eine größere Rolle spielen, fordert der Autor. Wie ein Medikament wirkt, hängt vom individuellen Stoffwechsel ab, also von der persönlichen genetischen "Betriebsanleitung" des Körpers. Die wird bislang aber kaum beachtet – da erstaunt es wenig, dass eine Standardmedikation nur bei 70 bis 80 Prozent der Patienten zum Erfolg führt. Die übrigen Patienten profitieren nicht von der Arznei, im Gegenteil, manche erleiden sogar schlimme Schäden dadurch. Schwere Nebenwirkungen von Medikamenten gehören zu den fünf häufigsten Todesursachen in den USA, legt Collins dar. Viele unnötige und schädliche Behandlungen ließen sich vermeiden, wenn man die Patienten vorher genetisch untersuchen würde, etwa auf eine Medikamentenunverträglichkeit.

Collins argumentiert sachlich, unaufgeregt und fundiert. Er beschreibt schwere Leiden, bei denen sich das Erkrankungsrisiko durch biochemische oder DNA-Test bereits sehr genau vorhersagen lässt: etwa die Cystische Fibrose, die Phenylketonurie oder die Galactosämie. Auch das Risiko für Diabetes, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs oder Alzheimer kann zu einem hohen Maß genetisch bedingt sein. Collins selbst hat seine DNA untersuchen lassen und führt die Ergebnisse in dem Buch auf.

Immer wieder geht der Autor auf persönliche Schicksale ein, schildert bewegende Geschichten von Patienten, mit denen er als Mediziner zu tun hatte – auch Geschichten aus seiner eigenen Familie. Dadurch macht er ein Stück weit erfahrbar, was eine schwere Krankheit für die Betroffenen bedeuten kann. Den größten Teil seines Buchs widmet er den Krebsleiden, da Krebs mittlerweile als Krankheit des Genoms verstanden ist. Collins macht sich grundsätzlich dafür stark, DNA-Tests umfassend für die Vorsorge, die Diagnostik und die Therapie zu nutzen, doch er tut das nicht uneingeschränkt. Ausführlich weist er auf Probleme hin, die mit persönlichen DNA-Tests zusammenhängen, und warnt eindringlich davor, sich solchen Tests zu unterziehen, ohne gründlich vorbereitet zu sein. Schwierige Themen wie die vorgeburtliche Diagnostik, die Patentierung von Genen oder die genetische Diskriminierung behandelt er mit der gebotenen Skepsis. Ausflüge in die Gen- und Stammzelltherapie runden das Buch ab.

"Meine Gene – mein Leben" ist sehr interessant und aufschlussreich. Der Text stellt mitunter recht hohe Ansprüche an die fachlichen Vorkenntnisse der Leser und neigt hin und wieder zum sperrigen Nominalstil, ist aber überwiegend verständlich, anschaulich und prägnant. Nützliche "Hausaufgaben" am Ende jedes Kapitels führen tiefer in den Stoff, für die Leser, die das möchten. Ein empfehlenswertes Buch für alle, die an biomedizinischer Forschung interessiert sind und wissen möchten, wohin die Medizin steuert.

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