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Lesespaß im Nanobereich

nano!
nano! | Der Ausstellungskatalog "nano!" wird herausgegeben vom Technoseum in Mannheim und ist dort erhältlich.
Für ihre Ausstellung "nano! Nutzen und Visionen einer neuen Technologie" hat das Mannheimer Technoseum hochkarätige Forscher angeschrieben und sie gebeten, in ihrem Hobbykeller die Exponate für die Ausstellung zusammenzuschrauben.

Stimmt natürlich nicht, kleiner Scherz. Kein Scherz ist dagegen, dass sich die Mannheimer von Forschern ihren Katalog haben zusammenbasteln lassen, und auch, dass sie danach keine Lötstelle mehr angerührt haben. So gut und professionell die Ausstellung einem Laienpublikum die Nanotechnologie näherbringt, so unbegreiflich ist die Auffassung, man könne diese Aufgabe, was den Katalog angeht, komplett den Forschern aufbürden.

"Die auftretenden Verluste werden aber nicht nur von der Wahl des verwendeten Kathodenmaterials, sondern auch von der Mikrostruktur der polykristallinen und porösen Kathode beeinflusst. Diese besteht aus einzelnen Körnern des Kathodenmaterials, deren mittlere Korngröße hier mit ps (engl.: particle size) bezeichnet wird, einem Volumenanteil an – idealerweise offenen – Poren (typische Werte für die Porosität ε liegen zwischen 30 und 40 %) sowie einer definierten Schichtdicke ICat im Bereich von Mikrometern." (S. 194) So klingt es, wenn Wissenschaftler aus Projektanträgen, Lehrtexten und Fachartikeln kompiliertes Material zur Verfügung stellen.

Welchen Leser hatte man im Sinn, dass man ihm solche Ungetüme aus irrelevanten Fachinformationen zumutet? Hat man sich darüber keine Gedanken gemacht? Oder waren die Schlüsse, die man zog, so kostspielig in der Umsetzung, dass man meinte, sich mit Verweis auf das bei archäologischen Museumskatalogen verbreitete Schema "Theorieteil + Ausstellungsrundgang" aus der Verantwortung herausstehlen zu können? In "nano!" werden allerdings keine Neufunde beschrieben oder sonstwie aufgearbeitet. Hier sind nicht Wissenschaftler die Zielgruppe.

Dass die Mannheimer trotzdem diese Aufteilung wählten und dann, aus welchen Gründen auch immer, nicht bereit waren, die – zugegebenermaßen äußerst anstrengende – Arbeit der lesergerechten Aufbereitung selbst zu übernehmen, lässt das Buch auf ganzer Linie scheitern. Abschnitt Zwei bedient sich zwar einer zugänglicheren Sprache, gibt allerdings allem Anschein nach im Wesentlichen die Ausstellungstafeln wieder. Für jemanden, der sich eigens den Katalog anschafft, bleiben die Informationen deutlich zu knapp.

Und Teil Eins? Einigermaßen gelungen ist noch die Auswahl der Themen und Autoren. Mitunter namhafte Wissenschaftler, häufig die Protagonisten ihres jeweiligen Felds, handeln sämtliche relevanten Forschungsgebiete in der Nanotechnologie ab – von der Methodik bis zur Anwendung in Betonbau und Medizin. Und ja, es finden sich tatsächlich Highlights wie den Beitrag zur "Ultrascharfen Lichtmikroskopie" von Claas von Middendorff und Stefan W. Heil. Dessen Autoren brachten Lust und Talent zur Veranschaulichung eben schon mit.

Das kann man naturgemäß nicht von allen erwarten, muss man als Leser aber offenbar schlucken: "Untersucht man die Lateralkraft-Hysteresen zwischen Vorlauf und Rücklauf der Spitze innerhalb einer Scanzeile des Rasterkraftmikroskops, so stellt die von der Kurve eingeschlossene Fläche (gelb unterlegte Fläche in Abb. 6b) die durch atomare Reibung dissipierte Energie dar. Auf diese Weise können tribologische Elementarprozesse bis hinab zur atomaren Skala quantitativ analysiert werden." (S. 28) Welche mysteriösen Dinge sich hinter Lateralkraft-Hysteresen, Dissipation und Tribologie verbergen, kann der Leser bitteschön selbst im Lexikon nachschlagen. Keine Erläuterung im Text. Kein Glossar, nirgends.

Wirklich nirgends? In einem Beitrag tauchen urplötzlich eingeklammerte Buchstaben auf. Ein Verweis auf eine Bildlegende? Aber welches Bild? Des Rätsels Lösung steht ganz am Ende des Beitrags: Hier haben die Verfasser zufällig ein Glossar mitgeliefert. Das wird dann kurzerhand auf die letzte Seite gepackt. Und dass es lediglich darin besteht, Begriffe wie "lipophil" und "hydrophil" auf ihre griechische Wurzel zurückzuführen, die jeder kennen dürfte, der mit dem Beitrag auch nur halbwegs etwas anfangen kann, stört auch niemanden. Genauso wenig wie die Tatsache, dass sich selbst in dieses belanglose, 15 Einträge umfassende Mini-Glossar Zuordnungsfehler eingeschlichen haben.

Denn das kommt in puncto mangelnder Aufbereitung zu allem Überfluss hinzu: "nano!" ist formal so lieblos und schludrig zusammengeschustert, dass es stellenweise an eine Zumutung grenzt. Es wimmelt von Tippfehlern und falscher Rechtschreibung: Ständig fehlen Bindestriche ("Zinkoxid Nanopartikel"), ebenfalls nicht gut klappt es mit dem Eszett, und die Mühe, ausgeschriebene Umlaute zu korrigieren, hat sich auch keiner gemacht. Der altbekannte Word-Autokorrekturfehler, der das Wort DNA in DANN ändert? Siehe S. 89. Arabisch von links nach rechts geschrieben? S. 58.

Noch schlimmer ist aber, dass keine Textstruktur zweimal auftaucht: Manche Beiträge haben eine launige Einleitung, manche einen Abstract, beziehungsweise beides oder auch keins von beidem. Wo ein Abstract ist, kann er eine Überschrift bekommen, typografisch abgesetzt sein oder auch weder-noch. Ähnlich strikt ist die Frage geregelt, ob in einen Text Zwischentitel gehören. Und so weiter: Im unglücklichen Layout stehen Bilder nach dem Wie-Man-Sieht-Sieht-Man-Nichts-Prinzip, in pixeliger Auflösung, mit Bildunterschrift, ohne Bildunterschrift, dafür aber mit englischer Beschriftung. Einzig die doppelseitigen Fotos aus der Nanowelt bieten etwas Schönes fürs Auge. Doch wer sich die mal prosaischen ("Canyon unter bewölktem Himmel"), mal unverständlichen ("diffusionslimitierte Anlagerung") Bildunterschriften ansieht, merkt schnell: Hier wurde per Copy&Paste die teils noch irreführende Beschreibung der Bilderlieferanten übernommen.

Selbst wenn man um keinen Preis in die Texte selbst eingreifen wollte, wäre doch wenigstens eine kurze Informationsbox über den jeweiligen Autor machbar gewesen. Michael Grätzel von der ETH Lausanne berichtet beispielsweise von seiner Erfindung, einer Farbstoffsolarzelle. Wie bedeutend diese Innovation tatsächlich ist, für die er unter anderem mit dem Millenium Technology Prize – dem weltweit wichtigsten Technologiepreis – ausgezeichnet wurde, erfährt der Leser aus seinem zurückhaltendem und leider nahezu unverständlichen Aufsatz ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Erfindung landläufig nur als "Grätzel-Zelle" bekannt ist.

Dass das fachliche Niveau der Beitrage zwischen hochkomprimiertem Lehrbuchtext und halbwegs allgemeinverständlichen Lehrbuchtext hin- und herpendelt, mag der Leser sogar begrüßen – immerhin gibt es einen Einblick in die Materie aus erster Hand. Aber anstatt aus diesem ausgezeichneten Rohmaterial einen Brillanten zu schleifen, haben die Herausgeber das Rohmaterial einfach zwischen zwei Buchdeckel gepresst.


Das Buch ist nur im Museumsshop des Mannheimer Technoseums erhältlich.

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