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Empathische Egoisten

Egoistisch, nein, das wollen wir nicht sein! Schließlich gibt es doch genügend Egomanen und Geizhälse auf der Welt. Also achten wir immer schön auf die Gemeinschaft und stellen eigene Bedürfnisse hintan. Gut so? Überhaupt nicht, meint Michael Pauen in seinem neuen Buch. Mitleid und Verzicht seien die falschen Strategien und allenfalls eine Lösung für Notlagen. Egoismus dagegen sei – richtig eingesetzt – nicht schädlich. Wir bräuchten ihn sogar dringend, wenn wir mit anderen klarkommen wollen. Mehr noch: Egoismus, so wie der Autor ihn versteht, stellt eine der wichtigsten Säulen unseres Gemeinwohls dar.

Das mag zunächst überraschen, doch der Professor für Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität huldigt weder dem Kapitalismus noch plädiert er für Gier und Selbstsucht. Pauen spricht von einem empathischen, einfühlenden Egoismus. Der Mensch sei schließlich ein durch und durch soziales Wesen: Er redet, lacht, streitet und arbeitet mit anderen, er führt Geschäfts- und Liebesbeziehungen. Insofern seien unsere Eigeninteressen in vielfältiger Weise mit denen von anderen verknüpft. Wenn sich jeder Einzelne wohl fühlt, profitiere auch die Gemeinschaft davon; bleiben aber individuelle Wünsche unbefriedigt, könne dies den Mitmenschen schaden.

Eigentlich geht es Pauen darum, wie wir am besten mit unserer sozialen Umwelt zurechtkommen. Ausführlich beschreibt der Autor, mit welch ausgefeilten zwischenmenschlichen Fähigkeiten wir ausgestattet sind und warum sie in unserer Evolution eine zentrale Rolle spielten. Was das Verhalten in Gruppen betrifft, hat Pauen allerdings fast nur Negativbeispiele parat, darunter einige berühmte Experimente. Sie zeigen, was passiert, wenn wir uns zu sehr anpassen.

Vergleichsweise harmlos wirken da Versuche des Sozialpsychologen Solomon Asch aus den 1950er Jahren: Probanden beurteilten zwei offensichtlich unterschiedlich lange Linien fälschlich als gleich lang, nachdem andere Probanden dies behauptet hatten. Spektakulärer ging es beim berühmten Stanford-Prison-Experiment von Philip Zimbardo zu. Unbescholtene Versuchspersonen wurden zu sadistischen Gefängniswärtern, nachdem sie in einem Rollenspiel zufällig diese Aufgabe zugeteilt bekommen hatten. Die menschliche Neigung, sich kollektivem Druck zu beugen, kann katastrophale Folgen haben – bis hin zu Gewalttaten oder Börsencrashs.

Pauens Argumentation leuchtet ein, auch wenn er sein Lieblingskonzept, den "empathischen Egoismus", vielleicht treffender als "umsichtigen Individualismus" hätte bezeichnen sollen. Dass es so etwas wie Altruismus, also Hilfeleistungen abseits von Eigeninteressen gibt, bestreitet der Autor zwar nicht. Er gesteht der uneigennützigen Sorge um andere jedoch nur eine untergeordnete Rolle zu.

Eine Stärke des stellenweise etwas trocken formulierten Textes ist, dass der Philosoph nicht moralisch, sondern pragmatisch argumentiert. Wir seien nun mal so, wie wir sind, und "eine Gesellschaft aus lauter Menschenfreunden wäre sterbenslangweilig". Doch der Autor beschreibt die Psyche als äußerst dynamisch und weist immer wieder auf die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Lernerfahrungen und angeborenen Dispositionen hin. Pauen begreift den Menschen eben nicht als rein egoistisch, sondern als grundsätzlich kooperationsfähig und dank seiner sozialen Intelligenz für alle Eventualitäten gerüstet – sofern er dem Druck der Gruppe widerstehen kann.

  • Quellen
Gehirn & Geist 9/2012

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