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Kein Glaubensinhalt, sondern Faktum und Theorie

Als ich im Dezember 2004 an einer süddeutschen Universität einen Vortrag zum Thema "Moderne Evolutionstheorie und Kreationismus" beendet hatte, konfrontierte mich eine junge Diplombiologin mit dem folgenden Argument: Vor zweihundert Jahren akzeptierten bibeltreue Naturforscher noch göttliche Schöpfungsakte; heute glauben die meisten Biologen an die Evolutionstheorie. Unser Wissen schreitet voran. Was werden die Biologen der Zukunft glauben?

Etwas verärgert antwortete ich sinngemäß wie folgt: Es gibt gläubige Biologen, aber im Beruf werden Glaubensinhalte grundsätzlich ausgeklammert. Die moderne synthetische Evolutionstheorie ist kein Glaubensbekenntnis, sondern ein aus Fakten abgeleitetes System von Aussagen, das einen Prozess erklärt, der tatsächlich stattgefunden hat und andauert. Die junge Biologin nahm diese ihr offensichtlich fremden Sachverhalte mit Verwunderung zur Kenntnis.

Diese Episode zeigt, dass die ausschließliche Vermittlung von Spezialwissen nicht ausreichend ist: Im Grundstudium sollten auch die allgemeinen Prinzipien der Biowissenschaften gelehrt und abgeprüft werden. Da dieses Basiswissen an vielen Universitäten im Lehrplan fehlt, sind Buchveröffentlichungen wie der vorliegende Sammelband von besonderer Bedeutung. Die Hamburger Biophilosophen Ulrich Krohs und Georg Töpfer haben einen Querschnitt dieses großen Gebiets zusammengetragen; namhafte Autoren haben eigens dafür Übersichtsbeiträge verfasst.

In den vier Abschnitten "Biologie und Physikalismus" (wissenschaftstheoretisch- philosophische Fragen), "Organismus" (Lebensbegriff, Definitionen der Biologie), "Biologische Theorien" (Schwerpunkt Evolution) und "Pragmatik" (Schwerpunkt Experimente) sind originelle Einzelbeiträge zu finden, die nicht nur allgemeine Hintergrundinformationen referieren, sondern auch tief gehende Analysen liefern und offene Probleme ansprechen.

Problematisch und teilweise unzutreffend sind aus meiner Sicht die Ausführungen zur Evolutionsbiologie im Abschnitt III. Den Autoren ist offensichtlich nicht bekannt, dass Ende der 1990er Jahre die erweiterte synthetische Theorie der biologischen Evolution entwickelt wurde, die unter anderem die evolutionäre Entwicklungsbiologie ("Evo-devo"), die phänotypische Plastizität und das Konzept der Endosymbiose umfasst und in der englischsprachigen Fachliteratur mehrfach zusammenfassend dargestellt wurde (zum Beispiel von mir selbst gemeinsam mit K. J. Niklas in "Naturwissenschaften", Bd. 91, S. 255, 2004).

Unter den Autoren finden sich kaum praktizierende Biologen. Dies erklärt die stellenweise recht abstrakte, weit vom lebenden Objekt entfernte Behandlung der deskriptiven und der experimentellen Biowissenschaften. Um dieses Defizit auszugleichen, empfehle ich die biophilosophischen Werke des Evolutionsforschers und Wissenschaftshistorikers Ernst Mayr (1904 – 2005), der zeitlebens Naturalist (Freilandbiologe) und Theoretiker (Interpret wissenschaftlicher Fakten) war (Spektrum der Wissenschaft 2/2001, S. 98, und 12/2004, S. 98). Auch der elegante, leicht verständliche Reclam-Band "Biophilosophie" von Gerhard Vollmer (1995) ist hilfreich. Es tut der Qualität seines Werks keinen Abbruch, dass Vollmer nicht Biologe, sondern Physiker und Wissenschaftstheoretiker ist (und in dem vorliegenden Band nicht zitiert wird).

Trotz dieser Kritik kann ich die "Philosophie der Biologie" nachdrücklich empfehlen. Viele Konzepte und Ideen zur Biophilosophie gibt es in keiner anderen Quelle in dieser Form nachzulesen. Die ausführlichen Literaturverzeichnisse am Ende jedes Einzelkapitels ermöglichen den Einstieg in die Spezialliteratur und bilden eine moderne, hoch aktuelle "Bibliografie zur Biophilosophie".
  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 1/2007

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