Detailreich nachgezeichnet
Gruselgeschichten von Sexual- und Serienmördern, die sich wirklich zugetragen haben, gibt es zur Genüge. Auch deutsche Profiler haben ihre Arbeit schon am Beispiel echter Fälle geschildert. Der Journalist Joachim Käppner von der Süddeutschen Zeitung schildert nun ebenfalls zurückliegende Verbrechen und ihre Aufklärung, webt sie jedoch in eine andere Geschichte ein: die des Profilings – auch operative Fallanalyse (OFA) genannt – in Deutschland.
Die ersten deutschen Fallanalytiker gingen in den 1980er Jahren beim FBI und bei der Wiener Polizei in die Lehre, emanzipierten sich aber schon bald von ihren Lehrmeistern. Diese bedienten allzu sehr den TV-Mythos des intuitiv begabten Einzelkämpfers, vermittelten aber wenig handfeste Methoden. Das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter richteten OFA-Dienststellen ein, die laut BKA heute rund 90 Mitarbeiter umfassen. Diese sollen systematisch und nach definierten Standards vorgehen – oder, wie es Käppner formuliert, mit der typisch "deutschen Gründlichkeit".
Fernab von der üblichen Ermittlungshektik rekonstruieren die Fallanalytiker den Tathergang und leiten daraus Aussagen zum Täter ab, die sie dann den polizeilichen Ermittlern präsentieren. War die Tat impulsiv oder geplant? Was verrät das Vorgehen über Alter und Familienstand des Täters? Käppner beschreibt weniger die methodische Systematik als vielmehr einzelne Fallbeispiele. Gewiss machen die Behörden ihre Erkenntnisse zu Tatmustern und Täterprofilen aus guten Gründen nicht öffentlich. Immerhin sind aber zahlreiche wissenschaftliche Befunde frei zugänglich. Trotzdem widmet sich ihnen das Buch nur auf wenigen Seiten, und darin geht es überwiegend um die typische Vorgeschichte von Sexualstraftätern.
Beim Blick hinter die berufsständischen Kulissen geht der Autor hingegen gern ins Detail. Immer wieder beschreibt er, wie schwer es für die Profiling-Pioniere war, von ihren Kollegen bei der Kripo als Partner akzeptiert zu werden. Dabei verrät die im Ganzen angenehm nüchterne Bestandsaufnahme einige Sympathien für die Münchner Fallanalytiker um Alexander Horn. Diese hatten etwa, ebenso wie FBI-Profiler, schon früh auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund der zunächst als "Döner-Morde" titulierten NSU-Mordserie hingewiesen und entsprechende Täterprofile entwickelt.
Käppner formuliert klar und elegant. Allerdings erschweren der große Detailreichtum sowie einige verzichtbare Schlenker und Schleifen die Lektüre – der Autor wollte wohl möglichst viel Erzählstoff unterbringen. Sein Verdienst besteht darin, die junge deutsche Geschichte des Metiers, ihrer Protagonisten und Erfolge detailreich nachgezeichnet zu haben. Wer über die hiesige Profiler-Szene und ihre bedeutendsten Fälle Bescheid wissen will, sollte dieses Buch unbedingt lesen.
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