Es werde der Mensch: Die Entwicklungsgeschichte unserer Spezies als Sofalektüre
Was unterscheidet den Menschen von seinen nächsten lebenden Verwandten, den Menschenaffen? Wie können sich diese Unterschiede aus der Evolution der menschlichen Spezies herleiten lassen, und welche archäologischen Befunde gibt es dazu? Welche Konsequenzen ergeben sich aus dem (wahrscheinlichen!) kulturellen Evolutionsverlauf für heutige Gesellschaften? Wer sich für derartige Fragen interessiert, wird in „Projekt Menschwerdung. Streifzüge durch die Entwicklungsgeschichte des Menschen“ viele Antworten und Denkansätze finden. Der Autor, Direktor des Neandertal-Museums bei Düsseldorf und zugleich Dozent für Früh- und Urgeschichte in Köln, führt anhand von fünf Themenkreisen (Leben und Überleben; Mythos und Religion; Werkzeug und Wissen; Umwelt und Ernährung; Verständigung und Verträglichkeit) durch historische und aktuelle Interpretationen der archäologischen Befunde und diskutiert die Implikationen für heutige Gesellschaften und Verhaltensweisen. Das größte Problem dieses Buches ist, das es missverstanden werden könnte als ein „klassisch“ wissenschaftliches Werk. Daher diese Warnung: Der Leser findet keine Tabellen, keine wissenschaftlichen Grafiken oder Schaubilder, keine Zitate und keine Literaturhinweise vor. Wenigers Sprachstil ist erzählerisch; sein Buch ist zwar ausgezeichnet illustriert, jedoch stammen die Abbildungen von einem Professor für Illustration und sind anregend und ästhetisch — aber nicht informativ. Es gibt zwar grau unterlegte Textpassagen mit Exkursen zu Spezialthemen (z.B. dem Menschenfresser-Mythos), die aber durch ihre Ausführlichkeit ebenfalls ungeeignet sind zur schnellen Orientierung. Ein Register zum Nachschlagen von Stichworten ist gar nicht erst vorhanden, so dass das Buch wirklich gelesen werden muss. Dies genau scheint aber die Intention des Autors zu sein. Sein Buch will gelesen werden, und zwar weniger am Schreibtisch als vielmehr auf dem Sofa. Wer sich darauf einlässt, wird faszinierende Streifzüge durch unterschiedlichste Facetten der menschlichen Entwicklungsgeschichte erleben und zu zahlreichen Assoziationen über die heutige Realität angeregt werden. Kritik am Detail wie beispielsweise an der etwas leichtfertigen Ablehnung soziobiologischer Interpretationen ist daher hier nicht angebracht — es ist halt kein Lehrbuch, sondern eine Sammlung von Denkanstößen über die menschliche Existenz.
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