Ein Küchlein mit Gehalt
Gebäckstücke kommen nur selten zu literarischem Ruhm. Mit einer "Madeleine" gelang Marcel Proust (1871–1922) dieses ungewöhnliche Kunststück. Bekannt wurde sie durch eine Szene in seinem Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit", in der der Erzähler das französische Küchlein in Lindenblütentee eintaucht und der aufsteigende Duft die Erinnerung an seine Jugend wieder aufleben lässt.
Weniger bekannt ist, dass Proust damit ein Erlebnis von Richard Wagner literarisch verwertete. Denn als dessen Arbeit an "Tristan und Isolde" ins Stocken geriet, wirkte der Überlieferung zufolge ein süßer Zwieback Wunder. In Milch getunkt weckte er Erinnerungen an alte Kompositionen und "brachte auf einmal alles wieder ins rechte Geleise".
Das war dem amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Jonah Lehrer offenbar nicht bekannt, ebenso wenig wie der große Einfluss von Wagners Werk auf Prousts Schaffen. Darüber könnte man hinwegsehen, wenn der studierte Literatur- und Neurowissenschaftler nicht behaupten würde, dass Proust hier eine einzigartige wissenschaftliche Eingebung gehabt habe. Diese Schwäche ist kennzeichnend für das Buch – der Autor hat stellenweise oberflächlich recherchiert.
Lehrer will Künstler würdigen, "die die Entdeckungen der Neurowissenschaft vorweggenommen haben". Viele Kulturschaffende hätten Prozesse im Gehirn erkannt, bevor Neurologen diese molekularbiologisch erklären konnten; unter anderem beobachteten und analysierten Maler, Schriftsteller und Musiker die Verarbeitung von Sinneseindrücken sowie andere Funktionen des Gehirns und setzten sie in der ihnen eigenen künstlerischen Ausdrucksform um. Neben Marcel Prousts Prosa über die Mechanismen des Erinnerns zählen dazu beispielsweise die Gemälde des französischen Impressionisten Paul Cézanne, in die viele Phänomene der visuellen Wahrnehmung einflossen.
Wie solche Reflexionen die Kunst prägten, ist in der Tat ein faszinierendes Thema. So lehrreich, dass schon andere dieses Feld beackerten und dabei eine reichere Ernte einfuhren, zum Beispiel die Franzosen Jean-Yves und Marc Tadié. Die beiden Autoren – Vater und Sohn – legten vor Jahren eine Kulturgeschichte des Denkens vor, welche die Entwicklungslinien über Jahrhunderte nachzeichnete. Sie lobten beispielsweise die "prophetischen" Gedanken des Philosophen Henri Bergson (1859–1941) zum Phänomen des Erinnerns und betonten deren Einfluss auf Prousts Werk.
Lehrers schmaler Auswahl haftet der Geruch persönlicher Vorlieben an – oder eben beschränkter Kenntnisse. Er huldigt sieben Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts aus Frankreich, den USA und Großbritannien sowie dem französischen Koch Auguste Escoffier, der den Geschmackssinn kulinarisch studierte. Seine Rechtfertigung, er habe Männer und Frauen wie Cézanne und Proust oder auch die Schriftstellerin George Eliot ausgewählt, "weil ihre Kunst sich als die zutreffendste erwies", verbirgt mehr, als sie erklärt.
Seine Behauptung, dass die Schriftstellerin Virginia Woolf "das Geheimnis des Bewusstseins lüftete", grenzt gar an hohlen Pathos. Auch an anderen Stellen greift Lehrer schnell zu Plattitüden: Das 19. Jahrhundert charakterisiert er mit den Worten "die Wirklichkeit war hart"; zum Seelenleben von Wissenschaftlern fällt ihm ein, sie seien "nie zufrieden". Der Autor dieses Büchleins war es leider allzu schnell.
Weniger bekannt ist, dass Proust damit ein Erlebnis von Richard Wagner literarisch verwertete. Denn als dessen Arbeit an "Tristan und Isolde" ins Stocken geriet, wirkte der Überlieferung zufolge ein süßer Zwieback Wunder. In Milch getunkt weckte er Erinnerungen an alte Kompositionen und "brachte auf einmal alles wieder ins rechte Geleise".
Das war dem amerikanischen Wissenschaftsjournalisten Jonah Lehrer offenbar nicht bekannt, ebenso wenig wie der große Einfluss von Wagners Werk auf Prousts Schaffen. Darüber könnte man hinwegsehen, wenn der studierte Literatur- und Neurowissenschaftler nicht behaupten würde, dass Proust hier eine einzigartige wissenschaftliche Eingebung gehabt habe. Diese Schwäche ist kennzeichnend für das Buch – der Autor hat stellenweise oberflächlich recherchiert.
Lehrer will Künstler würdigen, "die die Entdeckungen der Neurowissenschaft vorweggenommen haben". Viele Kulturschaffende hätten Prozesse im Gehirn erkannt, bevor Neurologen diese molekularbiologisch erklären konnten; unter anderem beobachteten und analysierten Maler, Schriftsteller und Musiker die Verarbeitung von Sinneseindrücken sowie andere Funktionen des Gehirns und setzten sie in der ihnen eigenen künstlerischen Ausdrucksform um. Neben Marcel Prousts Prosa über die Mechanismen des Erinnerns zählen dazu beispielsweise die Gemälde des französischen Impressionisten Paul Cézanne, in die viele Phänomene der visuellen Wahrnehmung einflossen.
Wie solche Reflexionen die Kunst prägten, ist in der Tat ein faszinierendes Thema. So lehrreich, dass schon andere dieses Feld beackerten und dabei eine reichere Ernte einfuhren, zum Beispiel die Franzosen Jean-Yves und Marc Tadié. Die beiden Autoren – Vater und Sohn – legten vor Jahren eine Kulturgeschichte des Denkens vor, welche die Entwicklungslinien über Jahrhunderte nachzeichnete. Sie lobten beispielsweise die "prophetischen" Gedanken des Philosophen Henri Bergson (1859–1941) zum Phänomen des Erinnerns und betonten deren Einfluss auf Prousts Werk.
Lehrers schmaler Auswahl haftet der Geruch persönlicher Vorlieben an – oder eben beschränkter Kenntnisse. Er huldigt sieben Künstlern des 19. und 20. Jahrhunderts aus Frankreich, den USA und Großbritannien sowie dem französischen Koch Auguste Escoffier, der den Geschmackssinn kulinarisch studierte. Seine Rechtfertigung, er habe Männer und Frauen wie Cézanne und Proust oder auch die Schriftstellerin George Eliot ausgewählt, "weil ihre Kunst sich als die zutreffendste erwies", verbirgt mehr, als sie erklärt.
Seine Behauptung, dass die Schriftstellerin Virginia Woolf "das Geheimnis des Bewusstseins lüftete", grenzt gar an hohlen Pathos. Auch an anderen Stellen greift Lehrer schnell zu Plattitüden: Das 19. Jahrhundert charakterisiert er mit den Worten "die Wirklichkeit war hart"; zum Seelenleben von Wissenschaftlern fällt ihm ein, sie seien "nie zufrieden". Der Autor dieses Büchleins war es leider allzu schnell.
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