Zeichen verstehen, Antworten geben
Die integrierte Medizin ist das Ziel Thure von Uexkülls und seiner Mitautoren; das bedeutet, die Trennung in eine somatische Medizin für kranke Körper und Psychotherapie für kranke Seelen zu überwinden. Die Lösung liegt nach Uexküll nicht in der Suche nach Kausalprozessen, sondern im Verstehen und Beantworten von Zeichen, die der Patient auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene sendet.
Eine Reihe von ausführlichen, manchmal gar zu lang geratenen Aufsätzen zu den theoretischen Grundlagen leitet das Buch ein. Dieser Teil des Bandes wirkt etwas zusammengewürfelt und beliebig. Doch findet sich hier Wichtiges, so zur Kommunikation zwischen Arzt und Patient am Beispiel des Mitteilens einer ungünstigen Diagnose. Es folgt ein Teil zu Grundsätzlichem in der Diagnostik, zum Beispiel mit wertvollen Hinweisen zum Interview in der Anamnese. Relativ knapp informieren die Autoren sodann über viele große Psychotherapierichtungen, so psychoanalytische, kognitiv-verhaltenstherapeutische, suggestive, körperorientierte und familientherapeutische. Am Ende des Buches finden sich Hinweise zur Aus- und Weiterbildung sowie ein ausführliches Literatur- und ein Sachverzeichnis.
Im Abschnitt "Klinik" wird ein breites Spektrum an Einsatzfeldern der Psychosomatik bis hin zu Zahnmedizin und Anästhesiologie behandelt. Immer finden auch die sozialen Auswirkungen und Bedeutungen der Erkrankungen Berücksichtigung. Leider kann hier nur auf wenige, ausgewählte Bereiche eingegangen werden.
Breiten Raum nehmen unter anderem verschiedene Essstörungen ein. Bei ihnen fällt besonders auf, wie bei manchen Menschen zwar wohl eine Prädisposition für psychische oder psychosomatische Erkrankungen besteht, wie stark die Erkrankung aber auch gesellschaftlich determiniert sein kann. Bei Bulimie beispielsweise gehen die Autoren von einem "deutlichen Anstieg in den letzten Jahrzehnten" aus (S. 714). "Eine große Bedeutung hat dabei das in den westlichen Ländern besonders stark vertretene Schlankheits- und Schönheitsideal. [...] Der Begriff der Schlankheit wird [...] verbunden mit körperlich fit, beruflich erfolgreich und leistungsfähig, attraktiv für mögliche Partner."
Umgekehrt lassen sich gegenüber stark übergewichtigen Menschen beiderlei Geschlechts Diskriminierungen und Benachteiligungen in allen Lebensbereichen und Vorurteile – faul, dumm, unbeherrscht – nachweisen. Die fatale Auswirkung ist, dass die meisten jungen Frauen mit ihrer Figur unzufrieden sind, im Durchschnitt rund fünf Kilogramm abnehmen möchten, drei Viertel aller Frauen im Laufe ihres Lebens mehrere Diäten durchführen und etwa ein Drittel ständig unter Diät lebt.
Dabei ist den Betroffenen nicht bewusst, welchem Risiko sie sich aussetzen. Viele Frauen entwickeln in der Folge ein problematisches Essverhalten. Die Autoren gehen so weit anzunehmen, dass Essanfälle aus dem Diäthalten resultieren: ein Absinken des erst Mitte der 1990er Jahre entdeckten Hormons Leptin durch das Fasten führt zu einer Enthemmung des Essverhaltens.
Dementsprechend fordern Uexkül und seine Kollegen ein Präventionsprogramm für Schüler und Schülerinnen, um das "kollektive Diätverhalten junger Frauen" zu durchbrechen (S. 725). Man würde sich wünschen, dass die Redakteure und Herausgeber von Frauenzeitschriften sich diesen Appell zu Herzen nähmen! Vermutlich ahnen sie nicht, welches Leid auch sie über ihre Leser(innen)schaft bringen. Dabei ist der Schaden unrealistischer Schlankheitsbestrebungen noch weit größer als hier dargestellt. Wiederholtes Scheitern am angestrebten Ideal wirkt sich nämlich geradezu destruktiv auf das Selbstwertgefühl der Betroffenen aus.
Auch die neue Auflage des "Uexküll" wird sicherlich den Status als psychosomatisches Standardwerk behaupten. Doch nicht nur psychosomatisch oder psychotherapeutisch Tätigen, besonders auch Allgemeinmedizinern sei das Buch wärmstens empfohlen.
Eine Reihe von ausführlichen, manchmal gar zu lang geratenen Aufsätzen zu den theoretischen Grundlagen leitet das Buch ein. Dieser Teil des Bandes wirkt etwas zusammengewürfelt und beliebig. Doch findet sich hier Wichtiges, so zur Kommunikation zwischen Arzt und Patient am Beispiel des Mitteilens einer ungünstigen Diagnose. Es folgt ein Teil zu Grundsätzlichem in der Diagnostik, zum Beispiel mit wertvollen Hinweisen zum Interview in der Anamnese. Relativ knapp informieren die Autoren sodann über viele große Psychotherapierichtungen, so psychoanalytische, kognitiv-verhaltenstherapeutische, suggestive, körperorientierte und familientherapeutische. Am Ende des Buches finden sich Hinweise zur Aus- und Weiterbildung sowie ein ausführliches Literatur- und ein Sachverzeichnis.
Im Abschnitt "Klinik" wird ein breites Spektrum an Einsatzfeldern der Psychosomatik bis hin zu Zahnmedizin und Anästhesiologie behandelt. Immer finden auch die sozialen Auswirkungen und Bedeutungen der Erkrankungen Berücksichtigung. Leider kann hier nur auf wenige, ausgewählte Bereiche eingegangen werden.
Breiten Raum nehmen unter anderem verschiedene Essstörungen ein. Bei ihnen fällt besonders auf, wie bei manchen Menschen zwar wohl eine Prädisposition für psychische oder psychosomatische Erkrankungen besteht, wie stark die Erkrankung aber auch gesellschaftlich determiniert sein kann. Bei Bulimie beispielsweise gehen die Autoren von einem "deutlichen Anstieg in den letzten Jahrzehnten" aus (S. 714). "Eine große Bedeutung hat dabei das in den westlichen Ländern besonders stark vertretene Schlankheits- und Schönheitsideal. [...] Der Begriff der Schlankheit wird [...] verbunden mit körperlich fit, beruflich erfolgreich und leistungsfähig, attraktiv für mögliche Partner."
Umgekehrt lassen sich gegenüber stark übergewichtigen Menschen beiderlei Geschlechts Diskriminierungen und Benachteiligungen in allen Lebensbereichen und Vorurteile – faul, dumm, unbeherrscht – nachweisen. Die fatale Auswirkung ist, dass die meisten jungen Frauen mit ihrer Figur unzufrieden sind, im Durchschnitt rund fünf Kilogramm abnehmen möchten, drei Viertel aller Frauen im Laufe ihres Lebens mehrere Diäten durchführen und etwa ein Drittel ständig unter Diät lebt.
Dabei ist den Betroffenen nicht bewusst, welchem Risiko sie sich aussetzen. Viele Frauen entwickeln in der Folge ein problematisches Essverhalten. Die Autoren gehen so weit anzunehmen, dass Essanfälle aus dem Diäthalten resultieren: ein Absinken des erst Mitte der 1990er Jahre entdeckten Hormons Leptin durch das Fasten führt zu einer Enthemmung des Essverhaltens.
Dementsprechend fordern Uexkül und seine Kollegen ein Präventionsprogramm für Schüler und Schülerinnen, um das "kollektive Diätverhalten junger Frauen" zu durchbrechen (S. 725). Man würde sich wünschen, dass die Redakteure und Herausgeber von Frauenzeitschriften sich diesen Appell zu Herzen nähmen! Vermutlich ahnen sie nicht, welches Leid auch sie über ihre Leser(innen)schaft bringen. Dabei ist der Schaden unrealistischer Schlankheitsbestrebungen noch weit größer als hier dargestellt. Wiederholtes Scheitern am angestrebten Ideal wirkt sich nämlich geradezu destruktiv auf das Selbstwertgefühl der Betroffenen aus.
Auch die neue Auflage des "Uexküll" wird sicherlich den Status als psychosomatisches Standardwerk behaupten. Doch nicht nur psychosomatisch oder psychotherapeutisch Tätigen, besonders auch Allgemeinmedizinern sei das Buch wärmstens empfohlen.
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