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Feindliche Schwestern

Egal, wie klein die Studentenbude auch sein mag: Entwicklungspsychologie und Psychotherapie gehören für Psychologiestudenten in zwei verschiedene Regalfächer. Dabei bietet sich eine Zusammenführung dieser traditionell getrennten Fachgebiete eigentlich wunderbar an. Befasst sich Ersteres doch mit der Entstehung und Entwicklung menschlichen Verhaltens und Zweiteres mit den Wegen und Möglichkeiten, behandlungsbedürftige Entwicklungen zu verbessern und zu heilen. Meistens werden die Erkenntnisse des jeweils anderen Bereichs jedoch von Fachleuten gar nicht zur Kenntnis genommen oder nur unreflektiert behandelt.

Inge Seiffge-Krenke ist eine der wenigen Experten, die es sich zum Ziel gemacht haben, die beiden "feindlichen Schwestern" endlich zusammenzuführen. Die Professorin für Entwicklungspsychologie der Universität Mainz ist praktizierende Psychoanalytikerin und damit eine "lebende Synthese" beider Disziplinen.

Für den Leser ergibt sich aus dem Hintergrund der Autorin jedoch eine wichtige Einschränkung. Die Psycho-analyse bleibt die einzige Form der Psychotherapie, mit der sich das Buch auseinander setzt. Zum einen verspricht der Titel also mehr, als er halten kann. Und zum anderen gibt es viele Psychotherapieschulen, die mit teils sehr voneinander abweichenden Weltbildern einhergehen und sich daher natürlich in ihren Anlehnungen an die Entwicklungspsychologie grundlegend unterscheiden.

Das Buch erläutert trotzdem für viele Bereiche der Kindes-, Paar- und Fami-lienentwicklung die bedeutendsten psychoanalytischen und entwicklungspsychologischen Erkenntnisse. Überall sucht die Autorin nach möglichen Zusammenhängen und arbeitet zahlreiche Details heraus. So wird beispielsweise die provokante Frage gestellt, ob Väter für die Entwicklung ihrer Kinder notwendig, überflüssig oder sogar schädlich sind. Das entsprechende Kapitel stellt dann aber die besondere und eben positive Bedeutung der Väter deutlich heraus. Gleiches analysiert Seiffge-Krenke für den Einfluss von Freunden, Liebespartnern oder Geschwisterkindern – die Bedeutung der Mutter zieht sich durch ihr ganzes Buch.

Das Werk zeichnet sich durch eine beeindruckende Fülle wissenschaftlicher Daten aus – die es gleichzeitig zu einer schweren Lektüre machen. Die Leser sollten deshalb unbedingt über Vorkenntnisse aus dem Bereich der Psycho-analyse verfügen. Dann können sie das Werk in seiner ganzen thematischen Breite nutzen und kommen voll auf ihre Kosten. Es bleibt zu wünschen, dass dieses Buch dazu beiträgt, den Dialog zwischen beiden Fachgebieten weiter voranzutreiben. Dann, so schreibt Inge Seiffge-Krenke zu Recht, "profitieren beide Disziplinen".
  • Quellen
Gehirn&Geist 6/2004

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